Maschinen prägen das Leben

Jahrtausende lebten die Menschen als Jäger und Sammler beziehungsweise als Ackerbauern und Viehzüchter, also von und mit der Natur. Und dann, in einem Zeitraum von nicht einmal hundert Jahren wurde alles anders. Maschinen dominierten jetzt den  Alltag, der meist in den Städten stattfand. Dort hatten sich die Menschen bereits ein gutes Stück von ihren natürlichen Lebensgrundlagen entfernt. Gleichzeitig beschleunigte sich ihr Lebensrythmus, denn sowohl in der Produktion als auch beim Transport von Gütern und Personen gaben nun Maschinen ein bis dahin ungekanntes Tempo vor. Mit dem Einzug der Technik veränderten sich auch die Beziehungen der Menschen zueinander. Rechte und Pflichten, Reichtum und Macht wurden grundlegend umverteilt. Man vermag sich kaum vorzustellen, wie die Menschen diesen Umbruch erlebten. Ihr tradiertes Weltbild, ihre Vorstellungen vom Leben, ihre Werte und das, was sie als gesichertes Wissen verstanden, alles geriet in der Zeitspanne eines Lebens unter die Räder. Für die einen mag diese Entwicklung gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes gewesen sein, für die anderen wurde Fortschritt zum verheißungsvollen Mantra. Die meisten hatten allerdings genug damit zu tun, irgendwie zu überleben.

Meine Uroma, 1882 geboren, lebte als junge Frau alleinstehend mit einem Kind in einer märkischen Kleinstadt. Sie zog mit einem Handwagen über die Dörfer und verkaufte frisch gepresstes Leinöl, um so den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind zu verdienen. Ihre Wohnung bestand aus einem kleinen Zimmer und einer noch kleineren Küche, in der auf einem mit Holz befeuerten Ofen gekocht wurde. Wasser musste sie von der Pumpe auf der Straße holen, während sich das Plumsklo auf dem Hof befand. Wenn es dunkelte, konnte sie im Kerzenschein noch ein wenig hantieren, aber letztlich bestimmte das Tageslicht ihren Lebensrythmus. Als sie 1968 starb, war elektrische Beleuchtung in den Wohnungen und auf den Straßen längst selbstverständlich. Jetzt verunsicherten nicht nur dunkle Gestalten sondern auch Automobile die Straßen. Man hatte die Wohnungen an das städtische Wassernetz angeschlossen, so dass Badezimmer und Klosett Alltag geworden waren. Zum Kochen stand ein Gasherd bereit. Außerdem machten ihr Staubsauger, Waschmaschine und elektrische Küchengeräte das Leben leichter. Zu all diesen Geräten gesellten sich noch Radio, Fernseher und Telefon. Mehrmals am Tag klirrten die Scheiben, weil ein Düsenjet die Schallmauer durchbrach. Und als Krönung des Ganzen waren Menschen in eine Erdumlaufbahn geschossen worden. Das war aber nur die eine Seite. Mit dem Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem Faschismus und dem Sozialismus hatte sie vier politische Systeme er- und zwei Weltkriege überlebt. Die Inflation nach dem ersten großen Krieg fraß ihre mühsam gesparten Notgroschen, die folgende Weltwirtschaftskrise verschlimmerte die Lage weiter und die ständig wechselnden Regierungen waren auch nicht dazu angetan, Hoffnungen keimen zu lassen. Dann eroberte ein schnauzbärtiger Heilsverkünder die politische Bühne. Er versprach Ordnung, technischen Fortschritt und Arbeit für alle. Was er außerdem im Gepäck hatte, waren Verfolgungen, Massenmord und ein Krieg, der noch grausiger werden sollte, als der vorangegangene. Dem Krieg folgten Hunger, Ströme von Flüchtlingen und die Teilung des Landes. Blickt man auf die Stürme dieses Lebens zurück, dann erscheinen heutige Veränderungen einem lauen Lüftchen gleich.

Die erster Vorboten der großen Veränderungen waren aus England gekommen. Dort hatte man früh die Weichen in Richtung Förderung von Handwerk und Gewerbe gestellt, was besonders der Textilbranche zugute gekommen war. Feines englisches Tuch wurde zu einem Exportschlager. Es konnte gar nicht genug Schafswolle produziert werden, um die wachsende Nachfrage nach edlem Tuch zu befriedigen. Baumwolle, die aus den Kolonien ins Land kam, sollte Abhilfe schaffen und neue Käuferkreise erschließen. Doch schon bald zeigte sich, dass die Produktivität der Spinnerinnen, die die Baumwolle zu Garn verarbeiteten, zu gering war, um die schnell wachsende Nachfrage zu bedienen. Sollte es nicht möglich sein, Kräfte der Natur einzusetzen, um die Spinnerinnen zu unterstützen oder sogar ganz zu ersetzen? Schließlich hatte man die Kraft des Wassers und des Windes schon früher, wenn auch für andere Zwecke, eingesetzt. Da der Spinnprozess kontinuierlich ablaufen muss, blieb in diesem Fall allerdings nur die Wasserkraft als erfolgversprechende Option. Sie wurde dann auch in einer ersten Spinnfabrik, die 1770 ihre Produktion aufnahm, als Antriebskraft genutzt. Menschen wurden in dieser Fabrik nur noch für Hilfs- und Kontrollaufgaben benötigt. Zwanzig Jahre später gab es bereits 200 derartiger Fabriken, deren Produktivität rund 30 mal höher war als die der Spinnerinen.

Wasserkraft ist ortsgebunden und nicht überall verfügbar. Ihrem Einsatz als Antriebskraft waren daher enge Grenzen gesetzt. Energie wird aber nicht nur durch Wasser und Wind erzeugt, auch bei Verbrennungsprozessen wird Energie in Form erhitzter Gase frei. Verbrennungsprozesse haben zudem den Vorteil, dass sie im Prinzip überall ablaufen können. Sie waren also sowohl stationär, an jedem beliebigen Ort, als auch zum Antrieb von mobilen Maschinen einsetzbar. James Watt verhalf diesem Prinzip zum Durchbruch. Seine Dampfmaschinen kamen ab 1777 auf den Markt, die ersten Lokomotiven wurden ab 1804 verkauft. Zwischendurch hatten sich in Folge der französischen Revolution sowohl in Europa als auch in Nordamerika weitreichende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen. Mit ihnen wurden Kräfte freigesetzt, die dem Fortschritt weiteren Schwung verliehen. Letztlich war es wieder das Eisen, dessen massenhafte Verarbeitung zu hochwertigem Stahl ab 1855 eine neue Etappe der Entwicklung einläutete. Aus Stahl gefertigte Maschinen dominierten bald die Produktion in den Fabriken wie auch den Transport zu Wasser und zu Lande.

Industriebetriebe entstanden vor allem in den Städten, denn dort fanden sich die erforderlichen Arbeitskräfte. Mitunter wuchsen auch neue Städte in der Nähe von Industrieanlagen, die sich bei wichtigen Rohstoffverkommen angesiedelt hatten. Der Hunger der Fabriken und Zechen nach freien Lohnarbeitern konnte jedoch nur gestillt werden, weil die Landwirtschaft durch wachsende Erträge die Ernährung einer zunehmenden Zahl von Menschen gewährleistete. Diese suchten ihr Auskommen vor allem in den Städten, die rasant wuchsen, so dass zum Ende des 19. Jahrhunderts die Landbevölkerung erstmals zur Minderheit wurde. Der Pulsschlag des gesellschaftlichen Lebens hatte sich endgültig in die Städte verlagert. Dort spielte die Musik, aber nicht für alle, denn die Menschen waren zu austauschbaren Anhängsel der Maschinen geworden, zu einem Kostenfaktor, der möglichst gering zu halten war. Bei Verschleiß stand eine Armee von Nachrückern bereit. Kinder waren besonders beliebt, da sie sich als Diener der Maschinen behende, fügsam und kostengünstig erwiesen. Das Licht des technischen Fortschritts offenbarte bedrückende Schatten. Doch es formierte sich Widerstand. Sozial motivierte Kämpfe entbrannten, erst spontan, dann zunehmend organisiert. Parteien, die den Kampf für die Rechte der Arbeiter und ihrer Familien auf ihre Fahnen schrieben, gewannen großen Zulauf.

Manche Städte wuchsen so rasant, dass ihre Infrastruktur völlig neu konzipiert werden musste. Auf Wohngebiete der ärmeren Bevölkerung wurde dabei kaum Rücksicht genommen, zumal der Wert der innerstädtischen Grundstücke unaufhaltsam stieg. Nicht nur die Preise der Grundstücke, auch die Häuser selbst schossen in die Höhe. Mit Fahrstühlen ausgestattete Wolkenkratzer waren der letzte Schrei. Die Bahn wurde dagegen schon mal in den Untergrund verlegt, um Platz zu sparen. Außerdem kam Licht in das Dunkel. Man hatte schon länger mit Elektrizität experimentiert und 1799 eine erste Batterie vorgestellt, nun, hundert Jahre später, war es soweit, dass Häuser und Straßen mit elektrischem Strom illuminiert werden konnten. Erst wenige, dann immer mehr, bis Elektrizität überall das Leben heller werden ließ. Schritt für Schritt erreichten die Segnungen der Industrialisierung breitere Kreise der Bevölkerung, viel zu langsam für die, die darauf warteten, im Rückblick gesehen jedoch in einem geradezu atemberaubenden Tempo.

Die Industrieproduktion war zur treibenden Kraft des Wirtschaftslebens geworden. Unternehmer, lange Zeit als Neureiche belächelt, bildeten die neue Oberschicht, die nach immer mehr Einfluss gierte, nicht zuletzt, weil sich ein bis dahin ungekanntes Problem aufgetan hatte. Durch den Einsatz der Maschinen war die Produktion nämlich zunehmend planbar geworden, das heißt, man konnte sie beinahe beliebig ausdehnen. Dem stand entgegen, dass die Märkte, die die Rohstoffe und Vorprodukte bereitstellen mussten und die die Endprodukte aufnehmen sollten, unberechenbar blieben. Wollte man eine den Maschinen gerecht werdende hohe Kontinuität der Produktion erreichen, mussten ganze Fertigungsketten in einer Hand vereinigt und Konkurrenten weitgehend ausgeschaltet werden. Nur ein monopolisierter Markt würde steuerbar sein. Für die Erreichung dieses Ziels schien jedes Mittel recht, jedenfalls war das die Überzeugung einiger Magnaten in den USA, deren Treiben auch dadurch begünstigt wurde, dass Grenzen setzende Regeln fehlten. Erst verheerende Krisen verhalfen zur Einsicht, dass ungezügelte Profitgier nicht automatisch gesellschaftlichen Wohlstand hervorbringt.

Das Entstehen von Wirtschaftsgiganten war aber nicht nur den Fortschritten in der Produktion und den Visionen einzelner Unternehmer zu danken. Für die Führung großer und territorial verzweigter Unternehmen brauchte man auch neuartige Möglichkeiten zur Kommunikation. Sie mussten einen schnellen Austausch von Informationen über weite Entfernungen hinweg gestatten. Der Telegraph und später das Telefon eröffneten diese Möglichkeiten. Sie gaben nicht nur der Industrie neue Perspektiven, sie schufen auch die Voraussetzung für die Beherrschung komplexer Infrastruktursysteme. Das Management eines Eisenbahnnetzes wäre ohne die technische Signalübertragung nicht denkbar. Die schnelle Übermittlung der Informationen führte aber auch auf ganz anderen Gebieten zu neuen Entwicklungen. Sie machte zum Beispiel eine zentrale Steuerung großer und schnell operierender Armeen möglich. Allerdings wurden nicht nur die Armeeführungen umgehend über aktuelle Veränderungen informiert, auch der Öffentlichkeit konnten nun Nachrichten über die tatsächliche Lage an den Fronten zugänglich gemacht werden. Zeitungen und andere Medien etablierten sich als vierte Gewalt im Ringen um politische Weichenstellungen.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vollzog sich noch eine weitere Veränderung, deren Tragweite erst nach und nach in vollem Umfang erkennbar wurde. Der Austausch von Waren war bis dahin Produkt gegen Produkt beziehungsweise mit Hilfe einer als Äquivalent akzeptierten Geldware abgewickelt worden. Als solche Geldwaren hatten sich im Laufe der Zeit vor allem Edelmetalle, wie Gold und Silber, etabliert, denn sie konzentrieren einen hohen Wert in einem geringen Volumen, sind beliebig teilbar und als Material sehr beständig. Ihr Nachteil, dass sie nur begrenzt zur Verfügung stehen und ihr sicherer Transport einen relativ hohen Aufwand verursacht. Dieses Problem war allerdings nicht neu, es begleitete den Handel von jeher. Im Laufe der Zeit hatten sich daher verschiedene Wege zur einfacheren Abwicklung von Geschäften herausgebildet. Man konnte zum Beispiel Forderungen und Verbindlichkeiten von Klienten buchseitig verrechnen, ohne dass Geldware bewegt werden musste. Es war auch möglich, einen Schuldtitel gegen das eigene Vermögen oder gegen Guthaben bei Dritten auszustellen und diesen zur Bezahlung einzusetzen. Voraussetzung für derartige Transaktionen war, dass sowohl der verrechnenden Stelle als auch dem Schuldner Vertrauen entgegengebracht wurde, denn man verzichtete ja für den Moment auf die Begleichung einer Forderung, um sie zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht auch an einem anderen Ort, geltend zu machen. Solches Vertrauen genossen vor allem Banken, die die Abwicklung von Geldgeschäften zu ihrem Metier gemacht hatten.

Schuldscheine, die auch als Zahlungsmittel eingesetzt wurden, waren anfangs individuell, auf einen konkreten Schuldner bezogen. Später ging man dazu über, universelle, das heißt vom Staat autorisierte, Scheine in Umlauf zu bringen. Diese Papiere galten als Stellvertreter der Geldware, denn der Staat beziehungsweise eine Zentralbank garantierten, dass man bei Vorlage ihren Gegenwert in Gold erhielt. Das Versprechen, derartige Scheine jederzeit in Gold eintauschen zu können, wurde in Zeiten der sich ausweitenden Massenproduktion und des massenhaften Austausches von Gütern allerdings zu einer Gefahr, denn zwangsläufig lief bald mehr Papiergeld um, als Goldreserven vorhanden waren. Sollten die Verkäufer durch irgendwelche Ereignisse verunsichert werden, das heißt, ihr Vertrauen in die Stabilität der Märkte verlieren, würden sie ihre Forderungen sofort fällig stellen und das versprochene Gold einfordern. In einem solchen Fall würden die Banken oder staatlichen Institutionen, die diese Schuldscheine herausgegeben hatten, nicht in der Lage sein, ihr Versprechen einzulösen. Eine solche Situation konnte zum Kollaps der Märkte und letztlich ganzer Volkswirtschaften, mit unübersehbaren politischen Folgen, führen. Um dieser Gefahr vorzubeugen, musste man die Garantie der Eintauschbarkeit der Geldscheine gegen Gold aufgeben. Die Geldscheine waren damit nicht mehr Repräsentant einer Geldware, sondern nur noch bedrucktes Papier. Das mit ihnen verbundene Versprechen beschränkte sich darauf, dass die Gesellschaft die Forderungen, die mit diesem Geld dokumentiert wurden, jederzeit für die Bezahlung von Verbindlichkeiten, die aus dem Erwerb beliebiger Waren und Dienstleistungen resultierten, akzeptieren würde. Insofern wurde jeder, der Papiergeld als Zahlungsmittel annahm, zum Kreditgeber, im Vertrauen darauf, diesen Kredit jederzeit in die von ihm benötigten Waren und Dienstleistungen verwandeln zu können. Dass solches Vertrauen auch missbraucht werden kann, zum Beispiel indem deutlich mehr Papiergeld in Umlauf gebracht wird, als Waren und Dienstleistungen verfügbar sind, wurde zur bitteren Erfahrung jener Menschen, denen die Hydra einer galoppierenden Inflation die Ersparnisse raubte.

Die Industrieproduktion war zur Basis moderner Gesellschaften geworden. Sie wurde auch zur Grundlage von Macht und Einfluss der Staaten im Weltgeschehen. Deshalb war es bald ein vorrangiges Anliegen der Regierungen, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Eine der wichtigsten Aufgaben in diesem Zusammenhang war die Schaffung einer zeitgemäßen Infrastruktur, denn der Ausbau der Transportwege für Güter, Personen und Informationen gewann sowohl für die Entwicklung der Wirtschaft als auch für die Versorgung der Städte und Armeen außerordentliche Bedeutung. Die sozialen Folgen der Industrialisierung wurden ebenfalls zur Herausforderung, denn wiederkehrende Unruhen hatten gezeigt, dass ein Mindestmaß an sozialem Ausgleich notwendig ist, um eine kontinuierliche wirtschaftliche Entwicklung zu sichern. Da den Unternehmern der eigene kurzfristige Profit wichtiger war, als der Blick auf die Entwicklung des Gemeinwohls, musste der Staat regulierend eingreifen. Die schweren Wirtschaftskrisen hatten zudem deutlich gemacht, dass den Unternehmen auch ökonomische Rahmenbedingungen vorgegeben werden mussten, um ihre Initiative in volkswirtschaftlich verträgliche Bahnen zu lenken. Das Eingreifen des Staates in das Wirtschaftsgeschehen berührte jedoch die Interessen der Unternehmer, die vehement eine enge Abstimmung einforderten. Die sich entwickelnde enge Verflechtung von Politik und Wirtschaft beschwor allerdings die Gefahr herauf, dass die Interessen weniger über Gemeinwohl gestellt wurden.

Im gleichen, atemberaubenden Tempo, in dem die Industrialisierung voranschritt, veränderten sich auch die Gewichte der Staaten im globalen Machtgefüge. In der vorangegangenen Epoche hatten die Europäer, vor allem Spanien, Portugal, England und Frankreich, die Welt unter sich aufgeteilt, wobei Großbritannien schlussendlich der größte Brocken zugefallen war. Die Dynamik des Maschinenzeitalters ließ jedoch tausendjährige Reiche nicht mehr zu. Neue Spieler, wie Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika, warfen schon bald ihre wachsende wirtschaftliche Potenz in die Waagschale, um im Kampf um Rofstoffe und Märkte bessere Bedingungen zu erlangen. Die internationalen Beziehungen waren auf derart dynamische Veränderungen nicht vorbereitet. Sie verharrten in einer Zeit, da der Hochadel staatliche Bündnisse ausgehandelt und durch familiäre Bande untermauert hatte. Dessen oft von Eitelkeiten gelenkte Politik gepaart mit dem Expansionsstreben des Großkapitals führte Europa schließlich in einen Krieg, der am Ende ein Weltkrieg war und Millionen Menschen das Leben kostete. Da der Krieg auch im Stile der vergangenen Epoche, mit Demütigungen und willkürlichen Machtverschiebungen, beendet wurde, geriet er zur Keimzelle weiterer Katastrophen. Immerhin, es war die letzte Schlacht des Adels, der mit dem Ende des ersten Weltkriegs endgültig von den Schalthebeln der Macht entfernt wurde. Die neuen Herren, die Herren des Geldes, waren allerdings kaum besser, nur skrupelloser.

In Russland wollten einige Revolutionäre neben dem Adel auch gleich noch das Privateigentum abschaffen, was dazu führte, dass das Land zeitweise im Elend eines Bürgerkriegs versank. Sie errichteten einen streng zentralistischen Staat, dessen Aufgabe darin gesehen wurde, das Land zu modernisieren und ihre Revolution in die Welt zu tragen. Dabei wurde auch vor Gewalt nicht zurückgeschreckt. In Deutschland hatte es ebenfalls eine siegreiche Revolution gegeben, eine faschistische, die sich als nicht minder blutrünstig erwies. Ihr Streben nach Weltherrschaft sollte durch einen großen Vernichtungskrieg zum Ziel geführt werden, wobei der in Russland herrschende „jüdische Bolschewismus“ zum Hauptfeind erkoren war. Russen und Juden hatten dann auch den höchsten Blutzoll zu beklagen, bevor es den Völkern der damaligen Sowjetunion gelang, den deutschen Überfall abzuwehren und gemeinsam mit den Alliierten die faschistischen Armeen vernichtend zu schlagen.

Eine Lehre dieses Krieges war die Einsicht, dass nur eine enge Zusammenarbeit der Staaten und Völker den Frieden bewahren kann. Man schuf internationale Gremien für die Sicherheit der Staatengemeinschaft sowie zur Förderung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit. Gleichzeitig teilten die Siegermächte die Welt von neuem in Einflusssphären auf. Die in diesem Zusammenhang gezogenen Grenzen berücksichtigten die Interessen der dort lebenden Völker kaum, so dass wiederum ein beträchtliches Konfliktpotenzial angehäuft wurde. Darüber hinaus war den Großmächten bald jedes Mittel recht, um ihre Einflusssphären zu erhalten oder auszudehnen. Dazu wurden Kriege geführt, diktatorische Regimes unterstützt und Waffen in absurden Dimensionen angehäuft.

All die Katastrophen und Verwerfungen, die das 20. Jahrhundert prägten, haben den technischen Fortschritt nicht aufgehalten, im Gegenteil. Maschinen zogen immer stärker in das Leben der Menschen ein. Sie ersetzten ihre Arbeitskraft in der Industrie, in der Landwirtschaft und zunehmend auch im Dienstleistungsbereich, sie eroberten die Haushalte und sie veränderten die Kommunikation der Menschen untereinander. Trotz aller Hemmnisse vertiefte sich die Kooperation der Unternehmen über Ländergrenzen hinweg. Auf immer mehr Gebieten erwies sich internationale Zusammenarbeit als zwingend erforderlich, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Gleichzeitig verstärkten sich jedoch die Ungleichgewichte zwischen den Regionen und Ländern, zum einen weil sich die unterschiedlichen Startbedingungen ohne ausgleichende Hilfen potenziert fortschrieben, zum anderen, weil die reichen Länder ihre Machtstellung nutzten, um die Bedingungen des internationalen Handels zu ihrem eigenen Vorteil zu gestalten. Hinzu kam, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion das Denken in Einflusssphären nicht untergegangen war, höchstens in dem Sinne, dass sich die USA, respektive maßgebliche Teile der dortigen Oligarchie, darin bestätigt sahen, dass allein sie berufen seien, die Welt in ihrem Sinne zu ordnen. Die internationalen Organisationen, die gegründet worden waren, um Konflikte zu entschärfen, wurden dabei schnell hinderlich.

zuletzt geändert: 04.01.2020

Quellen

GEO Epoche Kollektion Nr. 7, Die Industrielle Revolution

GEO Epoche Nr.8, Das alte China

Quelle Bild: www.Lehrerfreund.de

 

Aufbruch in eine neue Zeit

Das römische Reich, genauer das weströmische Reich, war unter dem Ansturm germanischer Stämme untergegangen. Kaiser Konstantin hatte schon vorher im strategisch günstiger gelegenen Byzanz eine neue Hauptstadt errichten lassen. Außerdem forcierte er Reformen und er förderte das Christentum, das in der Folgezeit zur Staatsreligion aufstieg. Das aus dieser Entwicklung hervorgegangene oströmische Reich konnte dank einer starken Zentralmacht, einer effizienten Verwaltung und einem schwunghaften Fernhandel weitere eintausend Jahre bestehen. Byzanz reklamierte nicht nur die Kontinuität des römischen Reiches für sich, es wurde auch zum Bewahrer des wissenschaftlichen und kulturellen Erbes der griechisch-römischen Geschichte. Ohne diesen Hort an Kontinuität wäre der spätere Aufbruch Westeuropas in die vorderen Ränge des Weltentheaters kaum möglich gewesen, denn dort war vieles von diesem Erbe in Vergessenheit geraten. Trotzdem musste auch in Westeuropa das Rad nicht neu erfunden werden. Will heißen, dass man auch dort auf Errungenschaften vergangener Jahrhunderte aufbaute. Außerdem brachten Händler und andere Reisende immer wieder Ideen, Werkstoffe und Erzeugnisse aus fernen Ländern mit, die zur Quelle von Fortschritt wurden.

Im 11. Jahrhundert kam es zu folgenreichen Veränderungen im Ackerbau. Die Dreifelderwirtschaft setzte sich durch, der Holzpflug wurde vom Eisenpflug verdrängt und es wurde ein neuartiges Geschirr benutzt, das es ermöglichte, Pferde statt der bis dahin üblichen Ochsen für die Feldarbeit einzusetzen. Mit Hilfe dieser Neuerungen konnten höhere Erträge erzielt werden, die ein Bevölkerungswachstum ermöglichten. Trotz der Ertragssteigerungen blieb die Lage der Bauern jedoch prekär, denn sie waren in eine starke Abhängigkeit von ihren Grundherren geraten. So mussten sie Fronarbeit auf den Äckern und Anwesen der Herren leisten oder diesen einen großen Teil ihrer Ernte abtreten. Dass sich eiserne Flugscharen verbreiten konnten, war Fortschritten bei der Eisenverhüttung zu verdanken, die auch die Herstellung vieler anderer, neuer oder verbesserter Gebrauchsgegenstände ermöglichten. Dies führte zu einem sprunghaft steigenden Bedarf an Eisenerz. Kupfer und Silber, die auch als Zahlungsmittel eingesetzt wurden, waren ebenfalls in wachsendem Maße gefragt, so dass der Bergbau florierte und zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor wurde. Der Aufschwung, der mit der verbesserten Eisenverarbeitung und dem prosperierenden Bergbau ausging, kam besonders den Städten zugute, denn es entstanden neue Gewerke, die auch den Handel belebten. Die oft weitgereisten Händler brachten Produkte aus fernen Ländern mit – Gewürze aus Indien, Seide, Porzellan und Edelsteine aus China sowie wertvolle Stoffe aus Arabien. Diese Luxusgüter waren bei den Herrschaften bald heiß begehrt. Da nicht jeder von ihnen eine Erzmine sein eigen nannte, pressten sie die hörigen Bauern aus, um am Luxus teilhaben zu können. Den Bauern blieb oftmals kaum das Nötigste zum Überleben.

Mit dem Fernhandel kamen aber nicht nur Luxusgüter, auch Ideen und Erfindungen fanden ihren Weg nach Europa. Insbesondere dem Austausch mit China, das zu jener Zeit auf vielen Gebieten führend war, verdankte man so manche Inspiration, wie das Nutzen der Pferde als Zugtiere oder die Verwendung eines Kompasses zur Navigation auf See. Der Landweg nach China und Indien war jedoch nicht nur lang sondern auch gefährlich. Als Alternative bot sich der Seeweg durch das Mittelmeer an, bei dem man allerdings auf die Dienste von Byzanz angewiesen war. Andere Nutznießer des Seehandels waren italienische Städte, wie Pisa, Genua und Venedig, deren Kaufleute zu großem Wohlstand und politischem Einfluss gelangten. Für sie war es wichtig, direkt in Konstantinopel vertreten zu sein. Immer mehr italienische Kaufleute und Bankiers ließen sich dort nieder, so dass Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung nicht lange auf sich warten ließen. Und dann kamen auch noch die Kreuzfahrer, die auf ihrem Weg in das gelobte Land, Konstantinopel im Jahre 1204 eroberten und plünderten. Von den wirtschaftlichen und politischen Folgen dieser Heimsuchung sollte sich Byzanz nie wieder ganz erholen. Die zunehmend unsicher werdende Lage im oströmischen Reich veranlasste Gelehrte und Künstler, das Land zu verlassen und in den italienischen Handelsstädten ihr Glück zu suchen. Sie brachten nicht nur ihr eigenes Wissen sondern auch Texte aus der Antike sowie Erkenntnisse arabischer und indischer Gelehrter mit. Dieser Zustrom an Wissen befruchtete die geistige Entwicklung Westeuropas. Er löste auch eine Welle enthusiastischer Suche nach weiteren antiken Quellen aus. Die Beschäftigung mit der latainischen Sprache gehörte daraufhin bald wieder zum Rüstzeug von Künstlern und Wissenschaftlern.

Die Schiffe, die die Waren aus fernen Ländern brachten, hatten eines Tages auch eine andere, todbringende Fracht an Bord: die Pest. Der scharze Tod, die schlimmste Katastrophe seit Menschengedenken, raffte bereits in einer ersten großen Welle von 1347 bis 1351 rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Die Pest verschonte auch die Herren, weltliche wie geistliche, nicht. Sie waren eben auch nur Sterbliche. Aber, wenn diese Herrschaften nicht unantastbar waren, warum sollten es dann die sie begünstigenden Gesetze und Regeln sein, zumal sich diese in Zeiten der Not nicht bewährten? Veränderungen schienen nicht nur dringend, sondern auch möglich zu sein. Vor diesem Hintergrund lösten sich Künste und Wissenschaften einen Schritt weit von der bis dahin alles beherrschenden Kirche. So besannen sich die Mediziner darauf, nicht nur über altes Wissen zu dozieren, sondern die Natur des Menschen zu erforschen, um ihm besser helfen zu können. Nicht ein Leben nach dem Tode sondern das diesseitige Leben sollte wieder den Mittelpunkt des Denkens bilden.

Die schweren Jahre hatten auch gezeigt, dass eine effiziente Verwaltung in der Lage ist, Krisenzeiten zu managen, selbst dann, wenn der Herrscher versäumte, das Seinige zu tun. Es war also wichtig, die Verwaltungen zu stärken, damit sie zum Wohle der Gemeinschaft tätig würden. Gleichzeitig verschärfte die Pest jedoch die sozialen Konflikte. Ganze Landstriche waren verwaist, Familien und Dörfer stark dezimiert. Viele der Herren waren trotzdem nicht bereit, irgendwelche Abstriche an ihrem Lebensstil zuzulassen. Die verbliebenen Bauern sollten nun all die Lasten tragen, die vorher auf breiteren Schultern verteilt waren. Vielerorts wurde die Drangsal so unerträglich, dass die Bauern keinen anderen Ausweg sahen, als sich ihr durch Flucht in eine Stadt zu entziehen. Das war natürlich nicht im Sinne der Herren, schmälerte doch jede Flucht eines Bauern ihren Geldbeutel. Sie scheuten auch vor Gewalt nicht zurück, um die angespannte Lage in den Griff zu bekommen. Wo dies trotzdem nicht gelang, rief man die Staatsmacht zur Hilfe, die nun ihrerseits die Landflucht verbot. Die Bauern wurden damit vollends zu Sklaven ihrer Scholle respektive ihres Grundherrn gemacht. Für einige dieser Herren hatte die Pest aber auch einen positiven Effekt, denn sie konnten verwaiste Ländereien unter ihre Kontrolle bringen und damit ihren Besitz und ihre Macht vergrößern. Die Konflikte wurden dadurch allerdings nicht gelöst, eher im Gegenteil. Aufruhr und bewaffnete Auseinandersetzungen waren eine wiederkehrende Folge.

Die Pest hatte England besonders schwer getroffen, war ihr doch dort fast die Hälfte der Einwohner zum Opfer gefallen. Die Grundherren gingen deshalb dazu über, die Schafzucht zu forcieren, nicht zuletzt, weil man für die Weidewirtschaft nur wenige Bedienstete brauchte. Der Staat förderte den Ankauf und die Verarbeitung der Wolle. Außerdem ließ er Straßen, Wasserwege und Häfen ausbauen, damit das hergestellte Tuch schnell und kostengünstig exportiert werden konnte. Die aus dem Handel sprudelnden Zölle sollten bald zu seiner wichtigsten Einnahmequelle werden. Die guten Geschäfte führten allerdings auch dazu, dass die Landlords bestrebt waren, die noch verbliebene Landbevölkerung zu vertreiben und sich die Allmenden anzueignen, um mehr Platz für die Ausweitung der Weidewirtschaft zu erhalten. Insgesamt gesehen schufen die Reformen jedoch die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes.

Egal, welche konkreten Maßnahmen in den einzelnen Ländern ergriffen wurden, der Staat musste sich fortan stärker in die Regelung der sozialen Beziehungen einbringen. Für diese Aufgabe brauchte man die örtlichen Herrscher mit ihren Verwaltungen, denn diese kannten die spezifischen Gegebenheiten, die bei der Durchsetzung der Regeln zu berücksichtigen waren. Viele dieser Herren nutzten die Gelegenheit, um ihre eigene Stellung im Machtgefüge auszubauen. Aber nicht nur die regionalen Herrscher pochten zunehmend auf Souveränität, auch viele Städte, die durch den Handel zu Reichtum und Wohlstand gelangt waren, forderten mehr Eigenständigkeit. Unter diesen Bedingungen hatte es eine Zentralregierung schwer, ihren Machtanspruch durchzusetzen. Die aus dieser Gemengelage entstehenden Konflikte führten nicht selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen Reichtum und Macht schnell gewonnen aber auch wieder verloren werden konnten.

In diesen unruhigen Zeiten etablierten sich die italienischen Handelsstädte, allen voran Florenz, als Wiege des Fortschritts. Kaufleute und Bankiers konzentrierten dort große Reichtümer in ihren Händen, wobei ihnen Neuerungen, wie die doppelte Buchführung und die Einführung des Handelswechsels, zugute kamen. Sie verwendeten einen Teil ihres Vermögens darauf, imposante Bauwerke zu errichten, Künstler zu beschäftigen und die Wissenschaften zu fördern. Verbunden mit der Wiederbelebung antiken Wissens entstand ein Strom von Innovationen, der der gesellschaftlichen Entwicklung Schwung verlieh. Die Baukunst hatte beispielsweise bisher einzig auf den Erfahrungen der Baumeister basiert, die neuartige Aufgaben nur nach der Methode von Versuch und Irrtum angehen konnten. Mit den neuen Erkenntnissen war man nun in der Lage, statische Berechnungen vorzunehmen, die das Bauen planbar machten. Da auch die alte Kunst des Kuppelbaus wiederbelebt worden war, konnten beeindruckende Bauwerke entstehen. Die Maler wendeten sich der Zentralperspektive zu, um in ihren Bildern einen räumlichen Eindruck zu erzeugen und sie rückten immer öfter den Menschen mit seiner ganzen Körperlichkeit in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Das Leben wurde nach der geistigen Bevormundung im Mittelalter und der körperlichen Bedrohung durch die Pest in neuer Weise gefeiert. Es erlebte eine Renaissance.

Verlierer des durch die Pest beförderten Umbruchs war die katholische Kirche. Sie hatte in der Zeit davor das geistige Leben beinahe vollständig beherrscht. Diese Herrschaft wurde nun immer öfter als Bedrückung empfunden. Hinzu kam, dass die Kirchenfürsten, meist Söhne weltlicher Herren, es ihren Brüdern gleichtun wollten und deshalb ihr Streben mehr auf die Erweiterung der eigenen Machtfülle und die Entfaltung eines grösst möglichen Luxus als auf das Seelenheil der ihnen Anvertrauten richteten. Gleichzeitig hatten sich viele von ihnen in der Stunde der Bewährung, als der Schwarze Tod unablässig die Sense schwang, als nichtsnutzig erwiesen. Jedenfalls sahen das viele Menschen so. Einige von ihnen fanden sich zu Laiengruppen zusammen, die, unabhängig von der Kirche, nach neuen Wegen zu Gott suchten. Später begründeten Theologen, wie John Wyclif und Jan Hus, dass es für die christliche Kirche unabdingbar geworden sei, zu ihren spirituellen Wurzeln zurückzufinden. Und schließlich war es die Reformation, die den Einfluss der Papstkirche auch faktisch beschränkte.

In gewissem Sinn sind sowohl die Renaissance als auch die Reformation Teil des durch die Pest beschleunigten gesellschaftlichen Umbruchs jener Zeit. Sie haben in ihren Ursachen, aber auch in ihren langfristigen Wirkungen, manches gemeinsam. Trotzdem stehen sie sich in ihren Konsequenzen unversöhnlich gegenüber. Dieser Gegensatz wird im Wirken der Renaissance-Päpste in besonderem Maße deutlich. Diese Herren waren tatkräftige, dem Diesseits verschriebene Machtmenschen und gleichzeitig Förderer von Architektur, Kunst und Technik, zumindest, solange sie ihren Interessen dienten. Gleichzeitig waren sie Herrscher, die ihren Machtanspruch als Territorialfürst wie auch als Kirchenoberhaupt rigoros durchsetzten. Die Reformation war im Unterschied dazu von egalitären Gedanken getrieben. In den Überlegungen der Reformatoren hatten Prachtentfaltung und Machtzuwachs keinen Platz. Die Päpste erschienen ihnen daher als Inkarnation des Bösen. Der daraus erwachsende Dissens erwies sich als unüberbrückbar. Er führte letztlich zur Spaltung der Kirche und zu einer nicht enden wollenden Reihe von Verfolgung und Krieg.

Der Reformationsgedanke hätte wahrscheinlich nie eine so große Strahlkraft erreicht, wenn nicht die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern seine umfassende Verbreitung ermöglicht hätte. Mit dem Buchdruck konnte das jahrhundertealte Monopol der Kirche auf die Bewahrung, Verbreitung aber auch Unterdrückung von Wissen gebrochen werden. Überzeugungen, genauso wie Forschungsergebnisse, wurden nun schnell, unter Umgehung jeglicher Zensur, verbreitet. Dadurch war jeder, der des Lesens mächtig war, in der Lage, an den geistigen Auseinandersetzungen der Zeit teilzuhaben. Als ideales Mittel, um neue Ideen unter die Massen zu bringen, erwiesen sich Flugblätter, ohne die auch die Überzeugungen Martin Luthers kaum derart rasante Verbreitung gefunden hätten. Die neuen Möglichkeiten der Publikation von Gedanken und Meinungen förderten auch die schnelle Verbreitung wissenschaftlicher Arbeiten, was zur umfassenden Revidierung des von der Kirche propagierten Weltbildes beitrug.

Nicht nur in Europa waren die Verhältnisse in Bewegung geraten. Auf der arabischen Seite des Mittelmeers war das Osmanische Reich entstanden, dessen Größe und Macht schnell wuchsen. 1453 gelang den Osmanen mit der Eroberung Konstantinopels der Sprung nach Europa. Sie besetzten den Balkan und sorgten jahrhundertelang für Unruhe in europäischen Herrscherhäusern. Die Osmanen brachten aber nicht nur Krieg und Unterdrückung nach Europa sondern auch kulturelle Neuerungen, die das Leben bereicherten. Mit der osmanischen Eroberung der arabischen Welt und der Einnahme Konstantinopels wurden jedoch auch die Handelswege nach China und Indien blockiert. Wo sollten nun die Luxusgüter herkommen, an die man sich doch gewöhnt hatte? Vielleicht ließ sich ein direkter Seeweg in diese fernen Weltengegenden finden. Zwei Routen waren denkbar, zum einen die Umsegelung Afrikas, zum anderen der Weg nach Westen, um Indien über die Rückseite der Erdkugel zu erreichen. Die Erkundungen dieser Routen waren gewagte Unterfangen, die viele Gefahren bargen. Allerdings hatte es auch Entwicklungen gegeben, die diese Abenteuer aussichtsreich erscheinen ließen. Ein neuer, wendigerer und besser steuerbarer Schiffstyp stand zur Verfügung, der Kompass war deutlich genauer geworden und mit Hilfe des Jakobsstabs und astronomischer Tabellen konnte die Position eines Schiffes präzise berechnet werden. Bald waren auch tragbare mechanische Uhren verfügbar, die die Navigation vereinfachten. Außerdem hatten die Seefahrer mächtige Feuerwaffen an Bord, die ihnen ein Gefühl von Überlegenheit mit auf den Weg gaben.

Die Zukunft lag auf den Meeren, das hatten vor allem die Herrscher von Portugal und Spanien verstanden. Sie waren bereit, tollkühne Männer für derartige Abenteuer auszurüsten. Das damit verbundene Risiko wurde belohnt, denn Vasco da Gama fand einen Seeweg nach Indien um Afrika herum und Christoph Kolumbus gelang die Querung des Ozeans gen Westen. Allerdings sollte sich später herausstellen, dass er nicht in Indien gelandet war, sondern dass er einen bis dahin in den Karten nicht verzeichneten Kontinent gefunden hatte. Die Entdecker nahmen die Länder für ihre Herrscher in Besitz. Dass dort andere Völker lebten, war für sie nicht weiter von Belang. Durch Mord, Versklavung und eingeschleppte Krankheiten waren diese ohnehin bald ein schwindendes Problem. Im Windschatten der Pioniere trugen Missionare den christlichen Glauben in die Welt, so dass sich der Einfluss der katholischen Kirche, trotz der Rückschläge in Europa, ausweitete und der Grundstein für eine Weltkirche gelegt werden konnte. Allerdings waren auch viele der Missionare nicht mit Skrupeln belastet, wenn es galt, ihrer Sendung Erfolg zu verschaffen. Und dann fand man auch noch Gold, das die großen Entdeckungen vollends zu großen Raubzügen werden ließ.

Gold und Silber flossen tonnenweise nach Europa. Es waren Waren, die sich problemlos in alle anderen Waren eintauschen ließen. Insbesondere das Gold war ein gern gesehenes Zahlungsmittel, wurde es doch als Inkarnation von Reichtum verstanden. In Europa war es bis dahin ein eher rares und teures Gut gewesen. Sein massenhafter Zufluss wirkte daher wie eine Dopingkur für Handel und Gewerbe, zumal es nicht in den Schatzkammern der Herrscher verstauben, sondern sich in Macht und Luxus, das heißt in einen Strom von Gütern, verwandeln sollte. Die Aufwendungen für den Raub des Goldes waren zudem deutlich geringer als sein damaliger Wert, was zusätzlichen Profit versprach. Doch dabei blieb es nicht. Da immer mehr Gold nach Europa strömte, wurde der reale Aufwand für dessen Beschaffung bald zur Richtschnur seines Wertes. Das heißt, der Wert des Goldes, gemessen im Wert der Waren, die man mit ihm erwerben konnte, sank. Da auch der Zufluss an Gold und Silber irgendwann verebbte, erhielt die Euphorie, die die ersten Raubzüge ausgelöst hatten, bald einen Dämpfer. Man musste sich nun auf andere Reichtümer, die die neue Welt ebenfalls zu bieten hatte, besinnen. Es wurden Bodenschätze ausgebeutet und eine auf die Bedürfnisse Europas ausgerichtete Landwirtschaft entwickelt. Dort, wo Arbeitskräfte fehlten, auch weil die einheimische Bevölkerung nahezu völlig ausgerottet worden war, schaffte man Menschen aus anderen Weltengegenden heran. Menschenhandel, vor allem die Versklavung von Afrikanern, wurde zum einträglichen Geschäft.

Überseeische Territorien zu besitzen, war ein wichtiger Faktor für Macht und Ansehen europäischer Herrscher geworden. Es wurden Kriege um die Vorherrschaft auf den Meeren, um überseeische Territorien, aber auch um die Dominanz in Europa geführt. In diesen Auseinandersetzungen konnten sich nur Staaten behaupten, die über eine starke Zentralmacht verfügten. Die Zentralmacht war es auch, die am meisten von den Erfolgen einer expansiven Politik profitierte. Gleichzeitig gab die Eroberung von überseeischen Territorien der Entwicklung von Handel und Gewerbe starke Impulse. Nicht nur die Sklaven, buchstäblich alles wurde zur Ware. Die Profitmacherei rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt des Wirtschaftslebens. Der damit eingeleitete Paradigmenwechsel von der Selbstversorgungswirtschaft zur Warenwirtschaft spiegelte sich auch darin wider, dass vielerorts die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse der Bauern von ihren Grundherren durch wirtschaftliche Beziehungen ausdrückende Pachtverträge ersetzt wurden. Selbst der Staat war mehr und mehr von Einnahmen aus Handel und Gewerbe abhängig.

Neben einigen Herrschern waren auch Kaufleute, Bankiers und Gewerbetreibende reich geworden. Sie wollten nun mehr Einfluss auf die Geschicke der Gemeinwesen erhalten und vor allem die Bedingungen für ihre wirtschaftlichen Unternehmungen verbessern. Dem stand das Beharren des Adels auf angestammte Privilegien im Wege. Gar nicht zu reden von dessen Verschwendungssucht, die im krassen Gegensatz zur Not weiter Teile der Bevölkerung stand, die aber auch in den Augen vieler Intellektueller und Bürger als unnatürlich empfunden wurde. Der Widerspruch, der bereits im Verhältnis von Renaissance-Päpsten und Reformatoren aufgeschimmert war, fand im Konflikt zwischen den vererbbaren Privilegien des Adels und dem emanzipatorischen Streben der Bürger Fortsetzung und Zuspitzung. Die wachsenden Spannungen entluden sich schließlich in folgenschweren Beben. Ein solches Beben, die französische Revolution, zerstörte nicht nur dort die alte Ordnung, seine Ausläufer waren beinahe überall auf der Welt zu spüren. Die Revolution proklamierte die formale Gleichheit aller vor dem Gesetz. Privilegien, die durch Geburt in eine bevorteilte Klasse begründet wurden, sollte es nicht mehr geben. Jeder würde selbst seines Glückes Schmied sein. Damit forderte die Revolution den massiven Widerstand aller um ihre Privilegien Bangenden heraus. Sie setzte aber auch ungeahnte Kräfte frei, die das alte Europa das Zittern lehrten.

Dann kamen aus England, mit seiner zu dieser Zeit am weitesten entwickelten Wirtschaft, ganz erstaunliche Nachrichten. Dort waren von Wasserkraft getriebene Baumwollspinnereien entstanden, bei denen fast der gesamte Produktionsprozess mechanisch, ohne das Eingreifen von Menschen, ablief. Das sollte aber nur der Anfang sein. Ein neues Zeitalter, das Zeitalter der Industrialisierung pochte an die Tür der Geschichte. Veränderungen gab es auch in der Landwirtschaft, denn man war von der Dreifelderwirtschaft zur Fruchtfolge übergegangen. Außerdem wurde vermehrt Dünger eingesetzt, so dass die Erträge deutlich stiegen. Die Familien waren in der Lage, mehr Mäuler zu stopfen und Kinder groß zu ziehen, von denen viele später in die Städte zogen, um dort, in der aufkommenden Industrie, ihr Auskommen zu finden. Trotzdem bildete die Landbevölkerung noch immer die größte soziale Gruppe, was sich erst mit der fortschreitenden Industrialisierung grundlegend änderte. Das heißt, vom Sesshaftwerden der Menschen bis zur Industrialisierung waren die Gesellschaften agrarisch geprägt, es waren mehrheitlich auf Selbstversorgung focussierte Bauerngesellschaften.

zuletzt geändert: 18.09.2019

Quellen:

  1. GEO Epoche Nr. 75, Die Pest
  2. GEO Epoche Kollektion Nr. 7, Die Industrielle Revolution

 

Bild: reference.com

Bauern

Die Jagd hatte für das Überleben der Homo sapiens eine entscheidende Rolle gespielt. Zum Ende der Eiszeit setzte jedoch ein Massensterben von Arten ein, darunter wichtiger Beutetiere der Menschen. Gleichzeitig wurde die Vegetation vielerorts üppiger. Da traf es sich gut, dass die Menschen bereits Erfahrungen mit der Zubereitung von Pflanzen für die Ernährung gesammelt hatten. Es wurden Körner zu Mehl gemahlen, um daraus Brot zu backen, das über eine längere Zeit genießbar blieb. Man hatte gelernt, Gefäße, wie Schalen und Töpfe, aus Keramik herzustellen, in denen Pflanzen zu schmackhaften Gerichten verkocht werden konnten. Sie wurden auch zur Aufbewahrung von Körnern, Nüssen und anderen Lebensmitteln verwendet, die so vor kleinen Nagern und anderen Räubern geschützt waren. Mit der Aufwertung der pflanzlichen Nahrung gewannen die Basislager an Bedeutung, da dort bessere Möglichkeiten für deren Zubereitung bestanden. Schließlich brauchte man zum Kochen und Backen allerlei Gerätschaften, die auf einem Jagdtrip eher hinderlich waren.

Wo viel mit Früchten und Samen hantiert wird, entsteht Abfall, der, so er in den Boden gelangt, unter Umständen wieder zu keimen beginnt. Siehe da, aus solchem Abfall entstanden neue Pflanzen, die wiederum Samen und Früchte trugen. Irgendwann mag jemand auf die Idee gekommen sein, diesen Prozess nicht dem Zufall zu überlassen, sondern gezielt Samen in den gelockerten Boden einzulegen. Vielleicht war der erste Versuch gleich ein voller Erfolg, vielleicht bedurfte es aber auch mehrerer Anläufe bis ein achtbares Ergebnis erzielt wurde. Die Versuche zeigten jedenfalls, dass Pflanzen eine gewisse Pflege benötigen, wenn man einen vorzeigbaren Ertrag erzielen will. Außerdem war es notwendig, die Saat zu bewachen, damit nicht Tiere die Früchte der Arbeit raubten oder gar alles zerstörten. Um die Saat zu bewachen, musste man im Lager bleiben, das damit zu einer ständig bewohnten Siedlung, zu einem Dorf wurde. Erste Erfolge beim Anbau von Pflanzen gab es wahrscheinlich dort, wo nährstoffreiche Böden und gute klimatische Bedingungen das Wachstum begünstigten. Das Gebiet des „fruchtbaren Halbmonds“ im Nahen Osten bot diese Bedingungen. Man geht davon aus, dass dort vor 15.000 Jahren die ersten Dörfer entstanden. In Asien begann der Prozess des Sesshaftwerdens bereits einige tausend Jahre früher.

Nicht alle Stämme und Sippen wurden gleichzeitig sesshaft, manche zogen weiterhin als Wildbeuter durch die Lande. Gut ausgestattete Dörfer mögen bei ihnen oder bei weniger erfolgreichen Nachbarn Begehrlichkeiten geweckt haben. Wollten die Dörfer nicht um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden, mussten sie sich schützen. Während die Beschaffung und Zubereitung der pflanzlichen Nahrung eher Frauensache war, wurden für den Schutz der Dörfer die Männer gebraucht. Die Männer wollten und sollten aber auch auf die Jagd gehen, so dass man sich für den Schutz etwas anderes einfallen lassen musste. Wälle, Gräben und Zäune wurden errichtet, mit deren Hilfe den vielfältigen Gefahren widerstanden werden sollte. Griff jedoch eine Horde gut bewaffneter Krieger an, dann waren diese Vorkehrungen nicht ausreichend, um das Dorf durch Frauen und Halbwüchsige verteidigen zu können. Das konnte nur mit Hilfe der Männer gelingen, die dazu allerdings im Dorf bleiben mussten. Wenn die Männer aber nicht auf Jagd gehen konnten, wo sollte dann das für die Ernährung so wichtige Fleisch herkommen?

Es gab da eine Geschichte, die schon seit langem an den Lagerfeuern erzählt wurde. Ein junger Mann hatte ein Wolfsbaby gefunden, es mitgenommen und aufgezogen. Dieser Wolf wurde sein ständiger Begleiter, der ihn vor Gefahren warnte, der ihm bei der Jagd half und ihm sogar einmal das Leben rettete, als er von einem Bären angegriffen wurde. Andere meinten, ein Gott hätte den Wolf zum Helfer der Menschen bestimmt. Wie dem auch sei, der Wolf war bereits vor hunderten von Jahren zum wertvollen Helfer und Begleiter der Menschen geworden. Natürlich war es keine Lösung, jedesmal nach Wolfswelpen zu suchen und diese aufzuziehen. Das war auch nicht nötig, denn die Wölfe, die die Menschen begleiteten, paarten und vermehrten sich. Und da nur Wölfe mit bestimmten Eigenschaften als Begleiter akzeptiert werden konnten, prägten sich deren Merkmale im Laufe der Zeit stärker aus. Die Wölfe wurden zu Hunden, zu treuen Gefährten der Menschen.

Durch die Erfahrungen mit den Wölfen wurde es grundsätzlich vorstellbar, Tiere an den Menschen zu gewöhnen. Vielleicht hatte es auch schon Erlebnisse mit einem gefundenen Frischling oder einem anderen Tierbaby gegeben, das, erst Spielgefährte, später zu einer schmackhaften Mahlzeit geworden war. Für einen derartigen Leckerbissen war kein langer und gefährlicher Jagdausflug von Nöten. Hatte man eine Vielzahl solcher Tiere zur Verfügung, konnten die Männer am heimischen Herd verbleiben, das Dorf beschützen und beim Ackerbau helfen. Die Tiere mussten allerdings ständig bewacht werden, damit sie nicht davonliefen oder zur Beute hungriger Raubtiere wurden. Deshalb wurden sie mit in die Behausung genommen oder anderweitig in der Nähe der Menschen einquartiert. Der daraus entstehende enge Kontakt mit den Tieren zeitigte jedoch neuartige Probleme. Bis dahin unbekannte Krankheiten sprangen von den Tieren auf die Menschen über und verbreiteten sich schnell.

Tiere wurden anfangs vor allem als Fleischlieferanten gehalten. Natürlich fanden auch andere tierische Produkte, wie Eier und Milch oder Häute, Federn und vieles anderes, Verwendung. Bald erkannte man, dass sich einige der Tiere auch für andere Zwecke, wie der Arbeit auf dem Feld, einsetzen ließen. Wollte man sie als Arbeitstiere nutzen, durften sie jedoch nicht geschlachtet werden. Darüber hinaus mussten von allen Tieren einige für die Nachzucht bleiben. Da die Zahl der Tiere, die in den Dörfern genährt und beschützt werden konnten, begrenzt war, kann man sich vorstellen, dass ein Braten eher selten, das heißt nur zu besonderen Anlässen, auf den Tisch kam. Das tägliche Einerlei wurde vor allem mit Pflanzenkost bestritten. Diese Kost war auf die Dauer recht einseitig, das heißt von partiellem Mangel geprägt. Sie führte zu einer in der Tendenz schwächer werdenden Konstitution der Menschen.

Zu den positiven Effekten des Sesshaftwerdens zählt, dass damit bessere Bedingungen für die Herstellung von Werkzeugen und anderen Gerätschaften entstanden. Viele dieser Dinge machten das Leben angenehmer oder wenigstens etwas leichter. Da man sie nicht mehr mit sich herumschleppen musste, konnte der Haushalt auch ruhig größer werden. Ein gut ausgestatteter Haushalt war sogar bald Zeichen von Wohlstand. Natürlich konnte jeder versuchen, die benötigten Werkzeuge und Gerätschaften selbst herzustellen, das Ergebnis wäre aber wahrscheinlich wenig befriedigend gewesen. Außerdem gab es einige, die besondere Fähigkeiten und Erfahrungen auf diesem Gebiet besaßen. Die von ihnen gefertigten Dinge waren handlicher, zweckmäßiger, vielleicht auch schöner, jedenfalls besser als die der anderen. Sie wurden von allen begehrt. Die talentierten Handwerker waren bald ausschließlich damit beschäftigt, den entstehenden Wünschen nachzukommen.

Aber auch Handwerker und deren Familien brauchen Nahrung. Sie mussten also für die  Produkte ihrer Arbeit eine Gegenleistung in Form von Nahrungsmitteln erhalten. Nur, wie war diese Gegenleistung zu bemessen? Aus der Sicht des Handwerkers sollte für die Erzeugung der Gegenleistung mindestens der gleiche Aufwand an Arbeit notwendig gewesen sein, den er für die Herstellung seines Produkts aufgebracht hatte. Der Erwerber hatte seinerseits zu entscheiden, inwieweit der Nutzen des Produkts seinen Aufwand für die Erzeugung der geforderten Gegenleistung rechtfertigte. Hatte man schließlich die unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner gebracht und die Produkte getauscht, dann hatten beide einen Teil ihrer Arbeit veräußert und sich gleichzeitig fremde Arbeit zu eigen gemacht. Das Produkt, in dem die fremde Arbeit geronnen war, wurde Eigentum des Erwerbers, über das nur er verfügen durfte. Da prinzipiell jedes Produkt dazu taugte, in Produkte fremder Arbeit getauscht zu werden, waren auch die eigenen Produkte als Eigentum anzusehen, von dem andere ausgeschlossen blieben. Die Entstehung von privatem Eigentum ist also eng mit dem Sesshaftwerden der Menschen verbunden. Daneben gab es natürlich auch weiterhin Dinge, die von allen genutzt werden konnten. Im Unterschied zum entstehenden Privateigentum blieben sie in der Verfügungsgewalt der Gemeinschaft, die die Regeln für ihre Verwendung festlegte.

Nachdem der Handwerker das Dorf mit seinen Erzeugnissen versorgt hatte, brauchte er, wollte er nicht wieder als Bauer tätig sein, neue Einnahmequellen. Er mag überlegt haben, welche Dinge er noch fertigen könnte, die für die anderen von Interesse wären. Vielleicht war ja bereits der ein oder andere Wunsch an ihn herangetragen worden. Eine weitere Möglichkeit, Einnahmen zu generieren, bestand darin, die Erzeugnisse anderen Sippen anzutragen. Nützliche Dinge fanden auf diese Weise Verbreitung über Sippen- und Stammesgrenzen hinweg. Im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte wurde dieser Austausch immer umfänglicher. Bald wurden nicht mehr nur Nahrungsmittel als Gegenleistung akzeptiert, auch Erzeugnisse fremder Handwerkskunst oder seltene Naturprodukte waren begehrt. Nach und nach schälten sich einige Dinge heraus, die von allen als Gegenleistung akzeptiert wurden, weil sie jederzeit gegen andere Güter eingetauscht werden konnten. Diese Dinge wurden zu Mittlern des Tausches, zu Zahlungsmitteln. Die Herausbildung solcher Zahlungsmittel änderte nichts am Grundprinzip des Wirtschaftens, denn nach wie vor stand der Erhalt von Nahrung im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Strebens.

Grundlage dafür, dass sich einige Menschen ausschließlich der handwerklichen Arbeit widmen konnten, waren Ertragssteigerungen in Ackerbau und Viehzucht. Sie ermöglichten nicht nur die Freistellung einzelner für besondere Aufgaben sondern auch ein Wachstum der gesamten Population. Damit wurden auch die Siedlungen größer, was wiederum mit einem höheren Bedarf an unterschiedlichen Produkten verbunden war. Die daraus resultierende Nachfrage beförderte ihrerseits die Entwicklung des Handwerks und trug zur Belebung des Handels bei. Händler legten mit Trägern oder mit Booten immer weitere Entfernungen zurück, um ihre Waren feilzubieten und Produkte ferner Länder herbeizuschaffen. Sie brachten auch Ideen und neue Werkstoffe, wie das Kupfer, mit, das bald überall heiß begehrt war. Schritt für Schritt verbreiterte sich der Strom der Güter. Nun wurden auch Lasttiere, wie Kamele, Esel und Pferde, eingesetzt, um die wachsenden Warenmengen zu bewegen. Dann hatte jemand die Erleuchtung, dass sich runde Scheiben nicht nur zum Töpfern eignen, sondern dass man sie als Räder unter einer Kiste befestigen kann, so dass ein Karren entsteht, mit dem sich Lasten leichter transportieren ließen.

Während das Rad schrittweise, im Kontext der allgemeinen Entwicklung, sein großes wirtschaftliches Potenzial zur Geltung brachte, führte eine andere Entdeckung beinahe unmittelbar zu gesellschaftlichen Veränderungen. Verschmolz man Kupfer und Zinn in einem bestimmten Verhältnis, dann entstand ein Werkstoff, der sich gut verarbeiten ließ und trotzdem enorm strapazierfähig war. Dieser Werkstoff, die Bronze, fand vor 5.000 Jahren eine geradezu rasante Verbreitung. Aus Bronze ließen sich neue und vor allem bessere Werkzeuge und Waffen herstellen. Mit solchen Werkzeugen wurde es beispielsweise möglich, mächtigere Bäume zu fällen, aus denen sich größere Schiffe bauen ließen, die auch den Gefahren der Meere widerstanden. Viele bis dahin ungekannte Gewerke und Berufe entwickelten sich. Im Zuge der nun einsetzenden wirtschaftlichen Belebung wuchsen einige Siedlungen zu Städten heran, die ihren Wohlstand häufig dem Fernhandel verdankten. Die Bronze wurde, da sie ein begehrter Werkstoff war, zu einem allseits akzeptierten Zahlungsmittel. Aber auch Kupfer, Bernstein und einiges anderes erhielt eine vergleichbare Wertschätzung.

Große Gemeinwesen, wie die Städte, stellen hohe Anforderungen an die Organisation des Zusammenlebens. In viel umfänglicherem Maße als bisher waren Normen erforderlich, die die komplexer gewordenen Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft regelten. Es reichte jedoch nicht, solche Normen zu verkünden, sie mussten auch durchgesetzt werden. Das heißt, neue Aufgaben waren zu bewältigen, für deren Realisierung Menschen gebraucht wurden, die über die erforderlichen Kenntnisse verfügten. Die entstehenden Verwaltungen mussten also angeleitet und beaufsichtigt werden. Diese Verantwortung wurde einem Rat aus angesehenen Mitgliedern der Gemeinschaft übertragen. Zu den Aufgaben des Rates gehörten auch die Anpassung der Regeln an veränderte Bedingungen, die Schlichtung von Streitigkeiten sowie die Weiterentwicklung des Gemeinwesens. Diese Befugnisse eröffneten jedoch die Möglichkeit, aus ihnen persönlichen Vorteil zu ziehen, so dass bald ein Streben nach immer mehr Kompetenzen einsetzte, das zur Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen weniger führte. Die Balance zwischen Gleichberechtigung und Solidarität auf der einen Seite und Führerschaft auf der anderen, die die Gemeinschaften der Jäger und Sammler geprägt hatte, ging auf diese Weise verloren. An ihre Stelle trat ein System abgestufter Rechte und Pflichten, das mehr und mehr von sozialen Unterschieden und der Distanz der gesellschaftlichen Gruppen zueinander geprägt war. Hinzu kam, dass die entstandenen Verwaltungen immer größer und mächtiger wurden. In den Augen der Menschen wurden sie zu etwas Übergeordnetem, ihnen Fremdes. Staaten waren entstanden.

Zu den Aufgaben des Staates gehört der Schutz der Gemeinschaft vor äußeren Feinden. Gerade der wachsende Wohlstand der Städte rief Neider auf den Plan, die auch Gewalt nicht scheuten, um ein Stück vom Kuchen zu ergattern. Wollte man sich vor Überfällen schützen, reichte es nicht aus, Mauern zu bauen und Waffen zu beschaffen, man musste die Handhabung der Waffen auch unablässig trainieren. Das ging nicht nebenbei, neben den täglichen Verrichtungen als Bauer, Handwerker oder Händler. Krieger zu sein, wurde zu einem eigenständigen Beruf. Gut ausgebildete Soldaten brauchte man aber nicht nur für den Schutz der Städte, auch die Handelswege waren mit bewaffneten Stützpunkten zu sichern, gerade weil sich der Reichtum zu großen Teilen aus dem Fernhandel speiste. Außerdem musste für einen permanenten Zufluss an Rohstoffen und Nahrungsmitteln aus den untergebenen Territorien gesorgt werden. Gut ausgerüstete und trainierte Armeen ließen sich darüber hinaus für eigene Erorberungen, die Reichtum und Ansehen versprachen, einsetzen. Eine besonders wichtige Kriegsbeute jener Zeit waren Menschen anderer Völker. Sie wurden gebraucht, um Bauten zum Ruhm der Herrschenden oder auch nur für deren Wohlleben zu errichten. Außerdem brauchten die Herren Diener, die die immer aufwendiger werdenden Haushalte am Laufen hielten. Die eigene Bevölkerung war meist nicht in der Lage, diese zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen, hatte sie doch die wirtschaftlichen Grundlagen der Gemeinschaft, die Erzeugung beziehungsweise Beschaffung von Nahrungsmitteln, von Waffen, Werkzeugen und Gerätschaften, von Kleidung, Schmuck und was sonst noch benötigt wurde, zu sichern. Nur mit Hilfe von Sklaven konnte wahrer Luxus entstehen.

Der Zusammenhalt der Gemeinschaften war ursprünglich durch die gemeinsame Sprache, durch überkommene Traditionen, Regeln und Rituale, aber auch durch einen gemeinsamen Glauben begründet worden. Der Glaube spielte sogar eine wachsende Rolle, nicht zuletzt weil die sozialen Strukturen dem einzelnen in zunehmendem Maße mysteriös erschienen. Wieso gab es einige, die nicht tagein tagaus schufteten und doch in Luxus lebten und andere, die trotz größter Anstrengungen kaum genug hatten, ihre Kinder zu nähren? Irgendjemand musste das doch festgelegt haben. Die Religionen lieferten Erklärungen, wobei sie die Verhältnisse, die das soziale Gefälle in der Gesellschaft bewirkten, als von Gott und den Göttern gegeben, proklamierten. Die aus ihnen hervorgegangenen Privilegien hatten deshalb als unantastbar zu gelten. Der Glaube wurde auf diese Weise zu einer staatstragenden Institution, deren Vertretern Respekt zu zollen war. Teile des Klerus waren häufig auch direkt an der Verwaltung der Gemeinwesen beteiligt. Außerdem oblag es den Priestern, das vorhandene Wissen über die Natur, die Gesellschaft und die Menschen zu bewahren und darüber zu wachen, dass die herrschenden Lehren die einzig gültigen blieben.

Das in der Gesellschaft gesammelte Wissen wurde mündlich weitergetragen. Mit der Zeit war dieses Wissen jedoch immer umfänglicher geworden, so dass es kaum mehr durch einzelne Personen erhalten werden konnte. Ähnliches galt für die Vielzahl der geltenden Normen und Regeln, deren Einhaltung von den Verwaltungen überwacht werden sollte. Hinzu kam, dass mit den wirtschaftlichen Verflechtungen das Bedürfnis wuchs, die gegenseitigen Verpflichtungen nachweisbar festzuhalten, um Streitigkeiten zu vermeiden. Man musste also etwas finden, womit sich Verpflichtungen, Regeln und Wissen dauerhaft dokumentieren ließen. Symbole, die Mengenangaben und Wörter bezeichneten, wurden ersonnen. Man brachte sie auf Steinen, auf Holzbrettern, Ton- und Wachstafeln, auf Papyros oder anderem Material auf und konnte so jederzeit auf die mit ihnen festgehaltenen Inhalte zugreifen. Damit war die Sicherung und Verbreitung von Fakten und Erkenntnissen nicht mehr an einzelne Wissensträger gebunden; sie konnten nun jederzeit und unabhängig von Personen einem größeren Kreis von Menschen zugänglich gemacht werden. Damit wurde es möglich, auch größere Gemeinwesen zu managen. Sie wurden mitunter zur Keimzelle einer Hochkultur. Eine dieser frühen Hochkulturen, das Reich der Pharaonen, überdauerte Jahrtausende.

Nach der Bronze war es vor allem das Eisen, das zu gesellschaftlichen Veränderungen beitrug. Allerdings verbreitete es sich nicht im Sturmlauf, wie die Bronze, sondern über einen langen Zeitraum, denn seine Verarbeitung, insbesondere seine Veredlung, erwies sich als schwierig. Der entscheidende Vorteil des Eisens bestand darin, dass es fast überall verfügbar war. Es war dadurch kostengünstiger und konnte einen breit gefächerten Einsatz im täglichen Leben finden. In veredelter Form zeigte es darüber hinaus Eigenschaften, die denen der Bronze überlegen waren. Aus Stahl ließen sich deutlich bessere Waffen herstellen, die die Kampfkraft der Krieger erhöhten. Da man darüber hinaus gelernt hatte, Pferde so zu trainieren, dass sie einen Reiter trugen und diesem gehorchten, wurden ganz neue Varianten der Kriegsführung möglich. Die Reichweite der Raubzüge erreichte ungeahnte Dimensionen, riesige Gebiete konnten erobert werden. Den so entstehenden Reichen war allerdings meist keine langes Dasein beschieden, denn es erwies sich als unmöglich, die riesigen Territorien dauerhaft zu beherrschen respektive zu verwalten. Als Ausnahmen können das chinesische und das römische Reich gelten, die, basierend auf einer starken Zentralmacht, einer schlagkräftigen Verwaltung und einer ausgeklügelten Infrastruktur lange Zeit überdauerten. Trotz mancher Brüche und Rückschläge beeinflussten beide den Lauf der Geschichte bis in die Neuzeit hinein.

Rom war als kleines städtisches Gemeinwesen gestartet. Es vergrößerte Schritt für Schritt seine Einflusssphäre. In diesem Prozess wurden die ursprünglichen egalitären Elemente zugunsten hierarchsicher Strukturen zurückgedrängt. Gleichzeitig entwickelte sich eine effiziente Verwaltung, die nicht nur die Metropole sondern auch die eroberten Gebiete umfasste. Die schnell wachsende Stadt brauchte Wasser und Nahrungsmittel wie auch viele andere Dinge, die aus der Umgebung oder aus den unterworfenen Provinzen herangeschafft werden mussten. Zu diesem Zweck wurde eine fortgeschrittene Infrastruktur aus Wasserleitungen, Straßen, Schiffahrtswegen und Kurierdiensten geschaffen. Das Ganze ruhte auf den Schultern einer bestens ausgebildeten und bewaffneten Berufsarmee, die sehr bald nicht mehr nur aus den Bürgern Roms gespeist wurde. Die Armee hatte auch den ständigen Zufluss an Menschen, an Sklaven zu sichern, denn die Mächtigen wollten prächtige Bauten errichten, dem Volk Spiele geben und sich selbst nach allen Regeln der Kunst verwöhnen lassen. Natürlich waren andere Völker nicht ohne weiteres bereit, ihre Ressourcen dem Moloch Rom in den Rachen zu werfen, so dass die Streitkräfte selbst in den seltenen Friedenszeiten nicht beschäftigungslos blieben.

Das römische Reich wurde nicht nur durch innere Konflikte verunsichert, auch von außen drohte immer wieder Ungemach. In ihrem Streben nach Verbesserung des eigenen Lebens bedrängten fremde Völker die Grenzen. Man errichtete Zäune, Wälle und Mauern, die diese Grenzen schützen sollten, sie konnten die Sicherheit jedoch nicht auf Dauer garantieren. Das riesige Reich würde nur bestehen, wenn der innere Zusammenhalt stark blieb. Dazu mussten die verschiedenen Völker, die durch unterschiedliche kulturelle und religiöse Traditionen geprägt waren, in die Gesellschaft und dessen Verwaltung eingebunden werden. Die Integration beschränkte sich jedoch meist auf die Eliten, denen Aufstiegschancen in Armee und Verwaltung eröffnet wurden. Dies konnte nicht verhindern, dass das ursprüngliche Bande, das durch eine einheitliche Sprache, Religion und Kultur entstanden war, an Kraft verlor. Die große Ausdehnung des Reiches wurde vom Segen zum Fluch. Irgendwann konnte das im Inneren erodierende Rom dem fortgesetzten Ansturm der Völker nicht mehr standhalten. Es wurde überrannt. Der Untergang des weströmischen Reichs geriet zur Zäsur, die eine Epoche kultureller und wirtschaftlicher Entwicklung beendete und Mitteleuropa zu einem Neustart in die Geschichte zwang.

zuletzt bearbeitet: 02.10.2019

Quelle

1)  GEO kompakt Nr. 37, Die Geburt der Zivilisation

 

 

Bild: bibelwissenschaft.de

Jäger und Sammler

Die Homo sapiens vermehrten sich prächtig. Am Beginn ihres Weges sollen rund 10.000 Individuen auf den Beinen gewesen sein, als sie sesshaft wurden, waren es bereits eine Millionen.1) Das Wachstum der Population wurde nicht zuletzt durch ihre Jagderfolge möglich. Hinzu kamen neue Verfahren für die Zubereitung pflanzlicher Kost, so dass die Ernährungsbasis insgesamt reichhaltiger wurde. Das Wachstum der Population führte auch zu einer stärker werdenden Konkurrenz der Sippen um die Jagdgebiete. Einige waren gezwungen, in andere Gebiete auszuweichen, so dass sich die Homo sapiens nicht nur in Afrika sondern auch auf anderen Kontinenten verbreiteten. In den größer werdenden Gemeinschaften war nicht jeder für alles zuständig. Neben die physiologisch geprägte Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen trat eine Aufgabenteilung, die aus der körperlichen Verfasstheit, aus Talenten und Neigungen entsprang. Damit wurden auch die Beziehungen in den Gemeinschaften vielfältiger, was höhere Anforderungen an die Kommunikation mitsichbrachte. Zur Bezeichnung der vielfältigen Sachverhalte wurden immer mehr kombinierbare Lautfolgen, also Silben und Wörter, gebildet, deren Verwendung allgemein bekannten Regeln folgen musste, damit sie von allen in gleicher Weise verstanden wurden.

Der moderne, in Gesellschaften lebende Mensch, entstand. Die frühen Formen dieser Gemeinschaften hat man als Urgesellschaften, als Gemeinschaften von Jägern und Sammlern bezeichnet. Heute findet man häufig den Begriff der Wildbeutergesellschaft, der unterstreicht, dass das Überleben der Menschen maßgeblich vom Jagderfolg abhing. Die Wildbeuterei bestimmte ihren Lebensrythmus. Trotz der gemeinsamen Lebensgrundlage waren die Gemeinschaften der Jäger und Sammler recht unterschiedlich verfasst. Das resultierte schon daraus, dass diese Gemeinschaften tausende von Jahren existierten, in denen sie sich in ihrem Zusammenleben immer wieder den sich verändernden Bedingungen anpassen mussten. Außerdem fanden die Menschen in den einzelnen Weltengegenden unterschiedliche Bedingungen vor, die ebenfalls die Art und Weise ihres Zusammenlebens beeinflussten. Trotz dieser Unterschiede in Ort und Zeit sind für die Gesellschaften der Jäger und Sammler auch gemeinsame Merkmale und Entwicklungen charakteristisch.

Der Prozess der sozialen Differenzierung war, wie geagt, nicht bei der Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen stehengeblieben. Im Laufe der Zeit traten die unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen stärker in den Vordergrund. Einige waren besonders stark, andere besonders geschickt, einige verfügten über ein gutes Gedächtnis, andere über eine hohe soziale Kompetenz. Diese Fähigkeiten brachten die Menschen in das Leben der Gemeinschaft ein. Der erfahrenste Jäger bereitete den gemeinsamen Jagdzug vor; vielleicht führte er auch das Jungvolk in die Geheimnisse der Wildbeuterei ein. Auch die Herstellung von Werkzeugen und Waffen gewann immer größere Bedeutung. Es wurden Klingen, Bohrer und Kratzer benötigt, genauso Jagdgeräte wie Pfeil- und Speerspitzen sowie Angeln und Tierfallen. Für die Herstellung dieser Dinge waren spezielle Erfahrungen und Fertigkeiten erforderlich, über die nicht jeder in gleichem Maße verfügte. Damit nicht genug, die Gemeinschaft brauchte auch Unterkünfte, Kleidung und Schmuck, die gefertigt und instand gehalten werden sollten. Natürlich konnte jeder versuchen, all dies selbst zu bewerkstelligen, ob aber der selbst gefertigte Schmuck dann auch schmückend war, ist eine andere Frage. Außerdem gab es in der Gruppe jemanden, dessen Schmuck von allen bewundert wurde und den man bitten konnte, das ein oder andere seiner Stücke abzugeben.

Nicht nur handwerkliche Fähigkeiten machten einen Unterschied. Es gab auch Frauen und Männer, die mehr als andere über Pflanzen und deren Wirkung auf Mensch und Tier wussten. Mit Hilfe dieser Pflanzen konnten Wunden geheilt oder Gebrechen gelindert werden. Manche von ihnen hatten eine betäubende Wirkung, andere konnten gar töten. Dieses spezielle Wissen ließ sich nicht nur für die Heilung von Krankheiten einsetzen, es war auch möglich, rauschartige Zustände, die von einer veränderten Wahrnehmung der Umwelt begleitet waren, zu erzeugen. Das Wissen um diese Dinge muss den anderen geheimnisvoll erschienen sein. Das Geheimnisvolle dieses Wissens übertrug sich auf die Personen, die mit ihm umgingen. Ihnen wurde mit Ehrfurcht begegnet, das heißt, sie wurden verehrt aber auch gefürchtet. Diese Frauen und Männer waren sich ihrer besonderen Stellung durchaus bewusst. Sie unterstrichen diese durch äußere Attribute, wie speziellen Schmuck oder Kleidung, die nur ihnen vorbehalten war.

Außer Medizinmännern und Heilerinnen bedienten sich auch andere äußerer Attribute, um die eigene Stellung zu unterstreichen. Geschickte Jäger oder erfahrene Krieger schmückten sich zum Beispiel mit Trophäen ihres Erfolgs. Jeder konnte dies auf seine Weise tun. Nach und nach bildeten sich jedoch allgemein beachtete Standards heraus, die es ermöglichten, die Stellung des einzelnen in der Gemeinschaft an diesen äußeren Zeichen abzulesen. Das heißt, sie wurden zu Statussymbolen, die diesen Menschen vorbehalten waren. Diese Statussymbole, genauso wie Kleidung, Werkzeuge und Waffen, gehörten zu einzelnen Personen, sie bildeten deren persönliche Habe. Eine nicht autorisierte Verwendung dieser Dinge konnte zu Konflikten führen. Trotzdem war mit diesen Dingen kein Eigentum verbunden, denn Eigentum setzt das Gegenteil, die mögliche Veräußerung des jeweiligen Gutes voraus. Für derartige Veräußerungen fehlte jedoch die materielle Basis, da jeder nur das Notwendigste auf den Wanderungen mitführen konnte. Ein veräußerungsfähiger Überschuss an Dingen war mit der Lebensweise der Jäger und Sammler nicht vereinbar. Außerdem waren die Gemeinschaften auf Solidarität angewiesen, die nicht durch die übermäßige Betonung der Unterschiede gefährdet werden durfte.

Die Wildbeuter waren Nomaden, die, um ihre Ernährung zu sichern, den Tieren folgten. Trotzdem kamen sie gern zu bestimmten, vorteilhaft gelegenen Unterkünften zurück. Diese Unterkünfte wurden zur Basis für mehr oder weniger lange Streifzüge. Für die Ausgestaltung dieser Behausungen betrieb man einigen Aufwand. Handelte es sich um Höhlen, so konnten zum Beispiel die Wände bemalt werden. Bevorzugte Motive waren Tiere und Jagdszenen, schließlich hing vom erbeuteten Wild das eigene Überleben ab. Vielleicht sollte die bildliche Darstellung von Tieren oder von Jagdszenen aber auch zur Versöhnung mit den getöteten Kreaturen beitragen. Fand man keine Höhle vor, die als Behausung dienen konnte, dann erhielten Basislager aus Zelten oder einfachen Holzbauten eine vergleichbare Bedeutung. Die Behausungen in diesen Lagern waren stabiler als die auf der Jagd verwendeten. Sie konnten eine Kochmulde, einen Rauchabzug oder andere Annehmlichkeiten enthalten. Leicht zerbrechliche Gebrauchsgegenstände oder andere Dinge, die auf den Jagdzügen eher hinderlich gewesen wären, konnten dort verbleiben. Je mehr Komfort mit den Basislagern verbunden war, desto attraktiver wurden sie für ihre Bewohner.

Die Beziehungen, die sich innerhalb der Gemeinschaften entwickelten, waren durch familiäre Bande geprägt. Sie wurden durch Kontakte zu anderen Sippen ergänzt. Die größer gewordene Population hatte es möglich gemacht, dass sich die Sippen häufiger trafen. Bei diesen Gelegenheiten wurden Neuigkeiten und Erfahrungen ausgetauscht, vielleicht auch ein Weib gefreit. Sicher hat man auch Waffen und Werkzeuge getauscht, denn die Sippen entwickelten unterschiedliche Fähigkeiten und Stärken. Darüber hinaus wechselten Schmuckstücke, die sich durch besondere Materialien oder durch die Kunstfertigkeit ihrer Herstellung auszeichneten, den Besitzer. Auch Gegenstände, die einen künstlerischen Anspruch befriedigten, wie kleine Figuren oder Musikinstrumente, wurden weitergegeben. Einige Dinge, wie seltene Muscheln oder Federn, spielten, da sie allgemein begehrt waren, bald eine besondere Rolle. Man konnte sie jederzeit als Tauschobjekt akzeptieren, da sie sich problemlos in andere, begehrte Dinge eintauschen ließen. Charakteristisch ist, dass der Tausch vorwiegend zwischen den Sippen stattfand und dass der daraus gezogene Vorteil der Gemeinschaft zugute kam. Die Begegnungen mit anderen Clans mögen allerdings nicht nur friedlich verlaufen sein. Mitunter ging es auch um Leben und Tod, zum Beispiel dann, wenn Streit um die Jagdgebiete entbrannte. Auch auf einen solchen Fall mussten die Sippen vorbereitet sein. Wahrscheinlich war es der erfahrenste Kämpfer, der die Ausbildung der zukünftigen Krieger übernahm. Er würde sie im Ernstfall auch in den Kampf führen.

Mit der Aufgabenteilung in den Gemeinschaften entstanden Unterschiede im Ansehen der Personen. Einzelne erhielten oder übernahmen eine führende Rolle, sei es für die Jagd, den Kampf mit anderen Sippen, die Betreuung der Kinder, die Ausbildung des Nachwuchses oder die Organisation des Zusammenlebens. Die Übernahme einer solchen Führungsaufgabe war vor allem durch individuelle Vorzüge, die die einzelnen mitbrachten, begründet. Natürlich entstand im Zusammenleben auch Streit, zu dessen Regelung sich Rituale, wie Wettkämpfe oder öffentliche Dispute, herausbildeten. Sie wurden von einer allseits geachteten Person geleitet, die die Einhaltung der Regeln überwachte und die das Ergebnis verkündete. Immer öfter mag dieser Schiedsrichter anstehende Streitfragen auch auf der Basis seiner Erfahrungen und der ihm zugewachsenen Autorität entschieden haben, ohne die zeitaufwendigen Rituale zu bemühen. Trotzdem blieben diese wichtig für den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Ähnliches gilt für die gemeinschaftliche Beratung und Entscheidung von wichtigen Fragen des Zusammenlebens. Zu welchen konkreten Themen Beratungen stattfanden, wer daran teilnehmen und wer mitreden durfte, war in den Gemeinschaften unterschiedlich geregelt.

Regeln, oft auch in Form von Tabus, bestimmten beinahe alle Facetten des Zusammenlebens. Sie waren bewährt und wurden von Generation zu Generation weitergetragen. Für ihre Einhaltung sorgte die gesamte Gemeinschaft, wobei auch hier einzelnen eine besondere Verantwortung zuteil werden konnte. Die Regeln wiesen jedem seine Rolle in der Gemeinschaft zu, sie verlangten einen bestimmten Umgang miteinander und sie sicherten die Ernährung aller sowie die Fürsorge für die Bedürftigen. Nicht zuletzt legten sie fest, welche Paarungen toleriert wurden und wie sie zustande kommen sollten. Mit den Regeln waren häufig Rituale verbunden, deren Achtung zum Bestandteil der Regeln wurde. Die Rituale betrafen vor allem die für das Leben bedeutsamen Momente, wie die Geburt eines Kindes, die Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen, die Vermählung und den Tod. Paradoxerweise hat vor allem der Tod, durch Grabbeilagen, bleibende Spuren hinterlassen.

Mit der inneren Struktur der Gemeinschaften entwickelte sich auch ihre Sprache weiter. Anfänglich mögen die benutzten Laute und Lautkombinationen über Sippengrenzen hinweg verstanden worden sein. Sie waren in ihrer Zahl beschränkt und fanden durch den Kontakt untereinander Verbreitung. Erst nach und nach entstanden in den Gemeinschaften eigenständige Gewohnheiten der Kommunikation, vor allem weil die Gruppen größer und das Leben in ihnen vielfältiger wurde. Je mehr sich die Population territorial ausdehnte, umso mehr unterschieden sich die Lebensumstände der einzelnen Gruppen voneinander, was ebenfalls in Besonderheiten der Kommunikation seinen Niederschlag fand. Da man schon wegen der Entfernungen mit vielen Sippen kaum mehr Kontakt aufnehmen konnte, prägten sich diese Besonderheiten immer stärker aus. Unterschiedliche Sprachen entstanden. Sie trugen auf der einen Seite zur Stärkung des Zusammenhalts der jeweiligen Gemeinschaften bei, auf der anderen Seite führten sie zur Entfremdung von anderen. Als eine Folge dieser Entwicklung bildeten sich neben den Sippen größere, durch Sprache und Tradition verbundene Stämme und Sprachfamilien heraus, die sich immer mehr von anderen abgrenzten.

Sprache, das heißt Kommunikation, wurde unter anderem benötigt, um die vielfältigen Erfahrungen des Alltags weiterzugeben. Derjenige, der sich Erfahrungen eines anderen zu eigen machen will, muss sie mit eigenen Erfahrungen in Beziehung setzen, sie in der einen oder anderen Weise den eigenen Erfahrungen zuordnen. Damit Anknüpfungen gefunden werden können, ist es erforderlich, die Erfahrungen auf wesentliche Merkmale zu reduzieren. Der Prozess der Reduzierung auf Wesentliches prägte zunehmend auch die Entwicklung der Sprache. Während die ersten Laute und Lautkombinationen sehr spezifische Sachverhalte bezeichneten, begannen die Worte nun vielfach auf übergreifende Charakteristika der Dinge und Geschehnisse abzuheben. Sie wurden zu Begriffen, die von Details abstrahieren. Ein Löffel ist ein Löffel, egal ob er aus Holz oder Bein gefertigt wurde, ob er lang oder kurz, gerade oder gebogen ist. Die sprachliche Differenzierung nach derartigen Details erfolgte nur, wenn sie für den Zweck, dem die Beschreibung diente, von Belang war. Anders gesagt, die Entwicklung der Sprache ging mit der Ausprägung des Abstraktionsvermögens einher. Gleichzeitig entwickelte sich die Fähigkeit, unterschiedliche Lautfolgen respektive Worte so miteinander zu kombinieren, dass komplexe Sachverhalte wiedergegeben werden konnten. Damit taugte die Sprache nicht mehr nur zur Signalgebung sondern auch zur Formulierung und Weitergabe von Wissen, Meinungen und Ideen.

Das Wissen der damaligen Menschen war auf Beobachtungen über Zusammenhänge in der Natur oder im Zusammenleben der Gemeinschaft gegründet. Zu ihrem Wissen gehörten zum Beispiel Kenntnisse über essbare Pflanzen sowie deren Zubereitung. Einige Pflanzen hatten zudem eine heileinde Wirkung, die bei Beschwerden Linderung verschafften. Man hatte auch gelernt, die Spuren der Tiere zu erkennen und sich deren Gewohnheiten und Eigenarten bei der Jagd zunutze zu machen. Außerdem konnten Zusammenhänge zwischen Naturerscheinungen und dem Verhalten von Tieren gedeutet werden. Trotzdem blieb vieles unerklärlich. Warum blitzte und donnerte es? Warum hatte man an dem einen Tag Jagderfolg und dann wieder lange Zeit nicht? Woher kamen Krankheiten und wohin gingen die Menschen nach dem Tode? Dort wo es keine konkreten Antworten gab, versuchten die Menschen, plausible Erklärungen zu finden. Von den Vorfahren hatte man zum Beispiel gelernt, dass Tiere und Pflanzen Wesen seien, die man für sich einnehmen muss, damit sie oder ihre Artgenossen auch weiterhin mit ihrem Fleich oder ihrem Samen der eigenen Ernährung dienen würden. Da es in der Sippe ein Oberhaupt gab, das Streitfragen regelte, war es nur wahrscheinlich, dass es auch bei den Tieren Häuptlinge gab, die es zu besänftigen galt, wenn man ihrer Sippe Leid zugefügt hatte. Diese Vorstellungen erklärten aber noch nicht, warum es blitzte und donnerte. Vielleicht gab es da jemanden im Himmel, der, einem Vater gleich, ab und an seinem Zorn über das Treiben auf Erden Luft verschaffen musste. Ihn galt es, mit Gesängen, Gebeten oder auch Opfern, milde zu stimmen.

Nach und nach entstand ein Geflecht von Anschauungen über die Natur und die Menschen, bestehend aus Erfahrungen, Regeln, Ritualen und Überzeugungen, das zum Allgemeingut wurde. Diese gemeinsamen Anschauungen bildeten ein Band, das die Gemeinschaft festigte und sie gleichzeitig von anderen abgrenzte. Diese Anschauungen und die mit ihnen verbundenen Regeln wurden mit der Zeit immer vielfältiger, so dass bald nicht mehr jeder in der Lage war, alle ihre Feinheiten zu verstehen. Einzelne wurden berufen, dieses spezielle Wissen zu bewahren und weiterzugeben. Besonders wichtig war es, die mit den grundlegenden Überzeugungen, das heißt, die mit dem Glauben verbundenen Rituale genauestens einzuhalten, schienen doch die mit ihnen Angesprochenen überaus mächtig zu sein. Personen, die zur Zwiesprache mit den Göttern berufen waren, nahmen bald eine besondere Stellung in den Gemeinschaften ein. Da für die Menschen Behausungen wichtiger wurden, war es nur folgerichtig auch den Göttern Behausungen zu errichten, dass sie eine Heimstatt hätten und dass den Menschen ein Ort der Begegnung mit ihnen gegeben würde.

zuletzt geändert: 18.09.2019

Quellen:

  1. A. Beck, Die Steinzeit, Theiss WissenKompakt 2012
  2. Bisher ging man davon aus, dass der Homo sapiens vor 200.000 Jahren die Bühne der Geschichte betrat. Neue archäologische Funde legen nahe, dass dies mindestens 100.000 Jahre früher der Fall war.
  3. Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, Pantheon-Ausgabe 2015
  4. GEO kompakt Nr. 37, Die Geburt der Zivilisation

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