Strukturen und Bewegungen

Alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, kann man mit den Begriffen Strukturen, Bewegungen und Kräfte zusammenfassen. Strukturen sind die Grundlage für Masse, Bewegung ist die Erscheinungsform von Energie. Masse und Energie beziehen sich im weitesten Sinn auf Stoffe, also Dingen, die man wahrnehmen kann. Im Gegensatz dazu erkennt man Kräfte nur an ihren Wirkungen. Ferdinand meinte, dass wir uns als nächstes mit den Strukturen und ihren Bewegungen beschäftigen sollten, bevor wir das Unsichtbare zu deuten versuchen.

Purzelbaum, Ordnung!

In einem alten Märchenfilm über Schneewittchen und die 7 Zwerge sind die Zwerge wie Geschwister charakterisiert, mit der üblichen Gruppenstruktur. Der Älteste gibt den Ton an. Er ist der gesetzte, seriöse, der sagt, was zu tun ist. Der Jüngste mit Namen Purzelbaum ist der Spaßmacher, der immer Schabernack im Sinn hat und der deshalb öfter ermahnt werden muss. Er ist der chaotische Faktor, der die Handlung vorantreibt. Damit das Ganze nicht aus dem Ruder läuft, ertönt des öfteren der Ruf des Ältesten: Purzelbaum, Ordnung! Warum ich das erzähle? Nun, es kam mir in den Sinn, als ich über das Bestreben der Menschen nachdachte, in der scheinbar so chaotischen Natur eine innere Ordnung zu finden.

Vieles, was unser Denken heute ausmacht, hat seine Wurzeln bei den alten Griechen.Sie stellten unter anderem vielfältige Überlegungen zu den Grundbausteinen der Welt, zu dessen innerer Ordnung an. So entstand die weit verbreitete Vorstellung, dass die grundlegenden Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde seien. Aus den verschiedenen Kombinationen dieser Elemente und deren Wechselwirkungen sei die Vielfalt der Welt entstanden. Ein Konzept der natürlichen Bedingtheit der Welt war aber nicht allen geheuer, denn wo war dann der Platz der Götter. Für sie stand fest, dass die Götter die Natur erschaffen hatten. Damit war aber die Frage nach dem Aufbau der Welt noch nicht geklärt. Manche Philosophen vertraten die Ansicht, dass alles und jedes aus kleinen Bauteilen zusammengesetzt sei, die ein Abbild des Ganzen, dem sie zugehörten, seien, nur eben kleiner. Demnach würden Steine aus kleineren Steinen bestehen und Pferde halt aus pferdchenartigen Bauteilen. Demokrit ging einen anderen Weg. Sein Atomkonzept brach mit den bisherigen Überlegungen, die ausschließlich auf dem basierten, was sich wahrnehmen ließ und die die Bausteine deshalb nur als Miniaturen des Ganzen begreifen konnten. Er ging davon aus, dass die Welt aus Atomen besteht, die außer Größe, Gewicht und Form keine Eigenschaften besaßen. Die Vielfalt der Welt entstand demnach aus unterschiedlichen Kombinationen dieser einheitlich verfassten Bausteine.

Diese Theorie sollte sich als hellsichtige Spekulation erweisen. Sie ist zudem zutiefst dialektisch, denn die ganze Vielgestaltigkeit der Welt wird auf Grundbausteine zurückgeführt, die sich nur in wenigem unterscheiden. Daraus erwuchs aber die Frage, wie diese Vielgestaltigkeit aus den einfachen Bausteinen entstehen konnte und ob es eine irgendwie geartete Ordnung in dieser Vielfalt gab.

Antoine de Lavoisier verröffentlichte 1789 eine Liste von 33 einfachen Stoffen, die sich nicht durch chemische Experimente in weitere Substanzen aufspalten ließen. Sie konnten also keine Gemische von irgendetwas darstellen. Es mussten die natürlichen Grundbausteine, die tatsächlichen Elemente dieser Welt sein. Darunter waren Wasserstoff und Sauerstoff, genauso wie Schwefel, Zink, Gold oder Platin. Allerdings fehlte noch immer ein Ordnungsprinzip für diese Elemente. Demokrit hatte die These formuliert, dass sich die Atome in ihrem Gewicht unterscheiden, was ein möglicher Ansatz für ein Ordnungsprinzip sein konnte. Es war John Dalton, ein Engländer, der 1803 als erster Ergebnisse einer experimentellen Ermittlung von Atomgewichten veröffentlichte. Wenn seine Verfahren auch nicht frei von Fehlern waren, so ergaben seine Messungen und Berechnungen doch vergleichbare Größen für Atomgewichte und damit einen Anhaltspunkt, um Ordnung in die Vielfalt der Elemente zu bringen.

Die entstandene Reihung der Elemente nach dem Gewicht ließ aber noch keine Rückschlüsse hinsichtlich ihrer chemischen Eigenschaften zu. Der Russe Dimitrij Mendelejew erschuf ein System, in dem alle bekannten Elemente nach ihren Eigenschaften in Reihen und Spalten geordnet waren. Mit seinem System, das die Elemente einerseits nach ihrem Atomgewicht ordnete und andererseits nach ihren Eigenschaften, stellte er eine wiederkehrende Periodizität von Eigenschaften fest. Auf dieser Basis konnte er erklären, dass an einigen Stellen seines Systems noch freie Plätze bleiben mussten, Plätze für Elemente, deren Gewicht und Eigenschaften er vorhersagen konnte, die aber schlicht noch nicht entdeckt waren. Und, diese Elemente wurden entdeckt.

Allerdings war damit noch immer nicht der Zusammenhang zwischen dem Atomgewicht und den Eigenschaften der Atome geklärt. Dazu waren eine Reihe weiterer Schritte erforderlich. Sie führten zu einer Vorstellung vom Atom, die über das Gewicht hinausging. Statt Größe und Form, wie Demokrit dachte, lag der Schlüssel zum Verständnis des Atoms in seinem Aufbau. Die Physiker waren gefragt. Mit der Entwicklung eines modernen Atommodells, das maßgeblich vom dänischen Physiker Nils Bohr geprägt wurde, gelang es, solche Erklärungen zu liefern. Nils Bohr ging davon aus, dass Elektronen auf mehreren Ebenen um den Atomkern kreisen. Elemente, auf deren äußerer Hülle sich jeweils nur ein Elektron bewegt, werden sich wegen dieser gemeinsamen Besonderheit auch ähnlich verhalten. Elemente mit zwei Elektronen auf der äußeren Hülle würden gleichfalls ähnliche Eigenschaften ausweisen und so weiter. Das Periodensystem der Elemente spiegelt also letztlich Ähnlichkeiten im Atomaufbau wider. Es sind demnach zwei Faktoren, die die Eigenschaften der Elemente und damit die Vielfalt der Welt bestimmen – die Größe des Atomkerns, mithin seine Masse sowie die energetische Verfasstheit des Atoms, die sich in der Bewegung der Elektronen widerspiegelt. Wenn man so will, Struktur und Bewegung auf atomarer Ebene.

Quelle: GEO kompakt Nr. 31, Martin Paetsch, Der Herr der Elemente, S.67-78

Bild: maerchen-filme.de

zuletzt geändert: 01.02.2019

Unscharfe Messungen

Mit dem Messen ist das manchmal eigenartig. Eine der berühmtesten Messungen in der Geschichte der Physik war „unscharf“. Heisenberg stellte fest, dass man die Position und die Geschwindigkeit eines Teilchens, eines Elektrons nämlich, nicht gleichzeitig genau bestimmen kann. Für seine Messungen hatte sich angeboten, die Teilchen mit Licht zu bestrahlen. Einige der Lichtstrahlen würden durch die Teilchen gestreut, so dass man ihre Position erkennen konnte. Doch Licht bewegt sich zyklisch, so dass die Genauigkeit, mit der sich die Position eines Teilchens bestimmen lässt, durch die Frequenz des jeweiligen Lichts begrenzt ist. Um die Messgenauigkeit zu erhöhen, muss man Licht mit hoher Frequenz einsetzen. Je höher die Frequenz der Strahlung ist, desto höher ist jedoch auch ihr Energiegehalt. Die Energie, mit der das Licht auf das Teilchen trifft, beeinflusst wiederum die Energie, das heißt die Bewegung des Teilchens selbst. Sie wird verändert. Wollte man also die Geschwindigkeit des Teilchens genau messen, dann brauchte man dazu eine möglichst energiearme Strahlung, das heißt Licht mit niedriger Frequenz.

Da haben wir es – ein klassisches Dilemma: Für die genaue Messung der Position braucht man energiereiche Strahlung und für die Messung der Geschwindigkeit energiearme. Wenn man beides gleichzeitig messen will, steht man vor einem unlösbaren Problem. Kann man den Feind nicht besiegen, muss man ihn zum Verbündeten machen. Heisenberg verpackte sein Dilemma in mathematische Konstrukte, um mit ihnen das Verhältnis beider Unschärfen zu bestimmen. Mit seiner Unschärferelation ging er in die Geschichte der Physik ein. Es blieb jedoch die Frage, ob es sich bei der Unschärfe um die Begrenztheit der Messmöglichkeiten handelt oder ob die Natur selbst „unscharf“ sei. Die Tatsache, dass sich die Position und die Geschwindigkeit eines Teilchens relativ genau bestimmen lassen, nur eben nicht gleichzeitig für das selbe Teilchen, legt die Vermutung nahe, dass das Dilemma der Unschärfe aus der Begrenztheit der Messmöglichkeiten resultiert. Jedenfalls war Einstein dieser Meinung, hier allerdings im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen.

Tatsächlich haben wir es mit einem grundsätzlichen Problem aller Messungen in Grenzbereichen zu tun. Für eine Messung brauchen wir neben dem Maßstab immer auch ein Messverfahren beziehungsweise ein Messinstrument. Dieses Instrument muss in seinen Eigenschaften etwas weiter gehen, eine größere Bandbreite abdecken, als das zu Messende selbst. Zum Beispiel muss ein Thermometer, um Temperaturen von minus 40 Grad Celsius messen zu können, selbst in der Lage sein, in diesem Temperaturbereich vorherbestimmbar zu reagieren. Schlicht gesagt, muss seine Skala mindestens minus 41 Grad zulassen. Würde es bei minus 40 Grad Celsius enden, wüssten wir nicht, ob beim Erreichen des Endpunktes der Skala dieser Wert das Messergebnis ist oder ob nicht ein anderes Ergebnis angezeigt würde, wenn es denn möglich wäre. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie man eigentlich Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt misst. Eine direkte Messung ist nicht möglich, da das Messinstrument in der Lage sein müsste, den absoluten Nullpunkt anzuzeigen, um ein zweifelsfreies Ergebnis zu erzielen. Da es keinem Stoff der Natur möglich ist, eine Temperatur von 0 Grad Kelvin anzunehmen, kann es kein Messinstrument geben, das diese Forderung erfüllt. Für Messungen im Bereich des absoluten Nullpunkts muss man daher physikalische Analogien heranziehen und Berechnungen durchführen. Dabei muss man eventuelle zusätzliche Fehlerquellen in Kauf nehmen.

Wie misst man eigentlich die Lichtgeschwindigkeit? Für eine direkte Messung würde man wiederum ein Messinstrument benötigen, dass das Licht überholen kann. Es würde mit dem Licht starten und vor dem Licht an einem Messpunkt eintreffen. Dabei legte es exakt die gleiche Strecke wie das Licht bei durchgängig identischen äußeren Bedingungen zurück. Da die Geschwindigkeit des Messinstruments dokumentierbar ist, könnte die Geschwindigkeit des Lichts im Vergleich zum Messinstrument mit hoher Genauigkeit ermittelt werden. Ein solches Instrument steht jedoch nicht zur Verfügung, da die Lichtgeschwindigkeit nicht übertroffen werden kann. Zur Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit bleiben auch hier nur Analogien und Berechnungen mit den ihnen immanenten möglichen Fehlern. Das Heisenbergsche Problem ist, so gesehen, nicht grundlegend von den Problemen des Messens im Bereich des absoluten Nullpunkts oder der Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit verschieden. Eine direkte Messung ist in Grenzbereichen nicht möglich und jede indirekte Messung ist mit Ungenauigkeiten, mit einer „Unschärfe“ behaftet. Das Verdienst Heisenbergs besteht vor allem darin, diese Unschärfe für sein Gebiet quantifiziert zu haben.

Wenn ich mir das so richtig überlege, dann sind nicht nur die Messungen in Grenzbereichen mit Fehlern behaftet, sondern alle Messungen. Fehler können aus der Ungenauigkeit des Messverfahrens oder aus Abweichungen im verwendeten Maßstab resultieren. Zudem sind die Umstände der Messungen nie absolut identisch, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse beeinträchtigt. Außerdem kann man nicht verhindern, dass sich diese Umstände auch während des Messvorganges verändern. Selbst wenn die Abweichungen minnimal sein sollten, so sind sie doch Fehlerquellen. Man muss sich also bei jeder Messung darüber im Klaren sein, dass sie Ungenauigkeiten beinhaltet. Im Alltag ist das meist nicht von Belang. Wenn ich einen Zollstock zur Hand nehme, werde ich kein Messergebnis mit einer Genauigkeit von 0,01 Millimeter erwarten. Deshalb ist es in diesem Fall auch unwichtig, dass bei Zimmertemperatur, also nicht bei 0°C, wie für den Urmeter vorgesehen, gemessen wurde. Womöglich war der Zollstock nicht einmal völlig gerade aufgeklappt. Trotz dieser und anderer Fehler genügt die erreichte Genauigkeit, um den Tisch zu vermessen, damit eine passende Decke ausgewählt werden kann.

Bei anderen Messungen, die eine deutlich höhere Genauigkeit verlangen, ist es erforderlich, möglichst viele Fehlerquellen auszuschließen oder deren Einfluss zu minimieren. Gleichzeitig sollten alle erkannten Fehlerquellen dokumentiert werden. Wenn man die mögliche Größe der Fehler quantifizieren kann, dann ist es durchaus sinnvoll, den Messergebnissen eine Wahrscheinlichkeit in Bezug auf ihre Genauigkeit zuzuordnen. Diese Wahrscheinlichkeit, das heißt den Grad der Genauigkeit, kann man unter Umständen steigern und schrittweise einer absoluten Genauigkeit annähern, ohne dass diese jemals erreicht würde. Die Dezimalzahlen spiegeln diesen Zusammenhang eindrucksvoll wider. Man kann ihnen unendlich viele Stellen nach dem Komma anfügen und damit jede gewünschte Genauigkeit ausdrücken. Mit der Unendlichkeit der anfügbaren Stellen machen sie gleichzeitig deutlich, dass eine absolute Genauigkeit nicht erreichbar ist.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Die Zahl Pi hat man auf unvorstellbar viele Stellen nach dem Komma berechnet, ohne dass die Rechenoperation zu einem Ende gekommen wäre. Das heißt, die Genauigkeit der Berechnung von Pi ließe sich weiter steigern, ohne die Zahl abschließend bestimmen zu können. Mit anderen Worten, niemand kennt die genaue Größe von Pi. Trotzdem ist unstrittig, dass diese Zahl einen tatsächlichen Zusammenhang widerspiegelt, denn dieser ist durch unzählige praktische Anwendungen belegt. Mathematiker haben ohnehin kein Problem damit. Für sie ist das Umgehen mit absoluten und relativen Bestimmtheiten nichts Besonderes. Sie haben zum Beispiel Methoden entwickelt, mit denen sich Grenzwerte in der Unendlichkeit, also in einer nicht bezifferbaren Dimension, ermitteln lassen. Trotzdem wird die praktische Relevanz dieser Berechnungen von niemanden in Frage gestellt. Der Fakt, dass man mit den zur Verfügung stehenden Methoden eine Größe nicht mit letzter Genauigkeit bestimmen kann, ist also kein hinreichender Grund dafür, deren Existenz zu verneinen.

Im Zusammenhang mit der Unschärferelation ist noch ein weiterer Aspekt von Bedeutung. Heisenberg hatte mit Elektronen gearbeitet, die als Teilchen galten. Man ordnete ihnen eine Masse zu. Max Planck hatte wiederum dargelegt, dass Licht und andere energetische Strahlung nicht in beliebig kleinen Portionen abgegeben wird. Es gibt einen Grenzwert, ein jeweils kleinstes Quantum, mit der sich Energie ausbreitet. Die Größe dieses kleinsten Quantums ist proportional zur Frequenz der jeweiligen Strahlung. Außerdem stellte man fest, dass die Quanten ganz verblüffende Eigenschaften haben mussten. Sie schienen Wanderer zwischen einer Welt der Teilchen und einer Welt der elektromagnetischen Wellen zu sein, waren sie doch zu jedem beliebigen Moment scheinbar in beiden Welten zu Hause. Das galt auch für die Elektronen. Schon deshalb mussten sie sich, so die These, einer genauen Bestimmung entziehen. Auf der einen Seite war da also ein Messproblem. Was man auch anstellte, man konnte ein Elektron nicht gleichzeitig genau in Ort und Zeit bestimmen. Auf der anderen Seite gab es diesen nicht recht erklärlichen Dualismus, der bewirkte, dass das Elektron scheinbar gleichzeitig als Welle und als Teilchen agierte. Die Schnittmenge beider Probleme führte zur Schlussfolgerung, dass das Elektron nicht bestimmbar sei, weil es selbst in Ort und Zeit unbestimmt ist. Dieses unbestimmte Teilchen würde erst durch die Messung einzelner seiner Aspekte eine Bestimmung, eine bestimmte Existenz erhalten.

Das ursprüngliche Messproblem wird auf diese Weise zum Naturphänomen. Mehr noch, der Messende avanciert zum Schöpfer, denn nur durch seine Messung erhält das Teilchen seine Bestimmtheit. Mit diesem Ansatz werden allerdings weder die Grenzen der Messgenauigkeit noch das Wesen der energetischen Strahlung wirklich erklärt. Die offenen Fragen werden lediglich ins Reich des Unbestimmbaren verschoben, was Einstein zu der Bemerkung provozierte: „Gott würfelt nicht“, mithin die Welt muss eindeutig sein.

Bild: fotocommunity.de

zuletzt geändert: 30.05.2019

Massen

Wie ist das nun mit der Masse? Die kann man doch sicher eindeutig messen, oder? Wieder scheint es recht einfach zu sein.Es gibt einen gültigen Maßstab, das Urkilogramm. Als Messinstrument nutzt man eine Waage. Waagen gibt es in verschiedenen Ausführungen. Eine sehr einfache Variante ist die Balkenwaage. Das zu wiegende Objekt wird in der einen Schale platziert, in die andere Schale legt man Wägestücke, solange bis die Waage ausbalanciert. Die Gewichte der Wägestücke waren vorher mit Bezug auf das Urkilogramm bestimmt worden. Nun kann man die Gewichte der Wägestücke addieren und erhält das Gewicht des zu bestimmenden Objekts. Hierbei wird eindrucksvoll klar, dass das Wiegen respektive Messen im Kern ein Vergleichen ist, im konkreten Fall das Vergleichen des zu wiegenden Objekts mit dem Gewicht der Wägestücke.

Wer in Physik aufgepasst hat, wird vielleicht einwenden, dass Masse und Gewicht nicht dasselbe sind. Für die alltäglichen Messungen auf Erden kann der Unterschied zwischen Masse und Gewicht meist vernachlässigt werden, ansonsten hat diese Unterscheidung aber einen ernstzunehmenden Hintergrund. Das Gewicht wird der Masse durch die Schwerkraft verliehen. Die Schwerkraft ist jedoch nicht überall gleich. Wir bräuchten nur mal kurz auf den Mond zu fliegen, um festzustellen, dass unser Kilogramm nun kein Kilogramm mehr wiegt. Allerdings wird uns für eine solche Feststellung die Balkenwaage nicht weiterhelfen, da die Wägestücke auch an Gewicht verloren haben. Was für ein Dilemma! Im neuen Bezugssystem auf dem Mond entspricht unser Kilogramm wieder einem Kilogramm an Wägestücken! Kann das richtig sein?

Wie kann man überhaupt feststellen, ob unser Kilogramm auf dem Mond leichter ist als auf der Erde? Genau genommen gar nicht. Das neue Bezugssystem der Messung ist jetzt der Mond mit der auf ihm wirkenden Schwerkraft. Da messen vergleichen bedeutet und wir nur Objekte vergleichen können, die zum selben Bezugssystem gehören, könnten wir Unterschiede zu anderen Bezugssystemen zwar ermitteln, es wären aber nicht im eigentlich Sinne Messungen. Wir lassen trotzdem nicht locker. Wir wollen unbedingt das Kilogramm auf der Erde mit dem Kilogramm auf dem Mond vergleichen. Da man keine Waage bauen kann, deren eine Schale auf dem Mond platziert ist und die andere auf der Erde, muss ein anderer Weg gefunden werden. Man könnte eine andere Waage, eine Federwaage zum Beispiel, zur Hand nehmen. Benutzt man den gleichen Versuchsaufbau auf der Erde und auf dem Mond, dann wird die Federwaage auf dem Mond für das zu messende Objekt einen geringeren Wert anzeigen als auf der Erde. Na also, geht doch! Nur, was haben wir eigentlich verglichen? Wir haben die Schwerkraft auf der Erde mit der Schwerkraft auf dem Mond verglichen und nicht die Gewichte zweier Objekte im gleichen Bezugssystem, wie es für eine Messung verlangt wird.

Bisher haben wir die Massen anhand ihrer Gewichte unterschieden. Was machen wir aber, wenn Massen dort verglichen werden sollen, wo keine Gravitationskräfte wirken? Die Balkenwaage wird uns nicht weiterhelfen, die Wägestücke flögen einfach davon. Eine Federwaage wäre ohne Gravitationskraft, mithin ohne Gewicht der Massestücke, ebenfalls nicht von Nutzen. Eine Größe hätten wir noch, die auf Massen auch ohne Gravitationskraft Einfluss nehmen kann – Energie. Wirkt Energie auf eine Masse, dann wird sie in Bewegung gesetzt, zumindest wenn die Energiemenge ausreichend groß ist, um die Trägheit der Masse zu überwinden. Bei gleicher eingesetzter Energiemenge werden unterschiedlich große Massen unterschiedlich beschleunigt. Damit ergibt sich eine Möglichkeit, unterschiedlich große Massen zueinander ins Verhältnis zu setzen, das heißt, sie zu messen.

Experimente haben bestätigt, dass die „schwere“ Masse und die „träge“ Masse gleich groß sind. Das heißt, die auf die eine oder die andere Weise ermittelten Relationen der Massen zueinander sind identisch. Es wäre auch verwunderlich, wenn sie je nach Art der Messung unterschiedlich ausfallen würden. Die Unterschiede zwischen träger und schwerer Masse liegen in den Messbedingungen beziehungsweise im Messverfahren begründet und nicht in der Natur der Sache selbst. Die Messung einer schweren Masse verlangt ein Bezugssystem, in dem Gravitationskräfte wirken. Die Gravitationskräfte müssen auf alle zu messenden Massen in gleicher Stärke wirken, ihnen in gleicher Weise „Schwere“ verleihen, damit ein genaues Ergebnis erzielt werden kann. Die Messung einer trägen Masse setzt wiederum die Einwirkung gleicher Energiemengen auf die zu vergleichenden Massen voraus, da diese dann unterschiedlich in Bewegung gesetzt werden. Ganz egal, wie wir das Messen der Massen anstellen, ob unter Mitwirkung der Schwerkraft oder mittels Energieübertragung, es muss gesichert sein, dass das Messen, das heißt das Vergleichen in einem gleichbleibenden Bezugssystem vorgenommen wird. Die erhaltenen Ergebnisse sind selbstverständlich relative Größen, das heißt auf einen Maßstab bezogen. Diesen Maßstab könnte man ändern, das hätte jedoch keinen Einfluss auf die ermittelten Relationen zwischen den verglichenen Massen. Es würde sich nur deren Bezeichnungen ändern.

Nun wissen wir zwar, wie man Massen bestimmen kann, aber, was Masse eigentlich ist, bleibt ziemlich unklar. Tragen wir das Wenige, das wir bisher dazu wissen, zusammen. Masse ist ein „Etwas“, das unter Einwirkung von Schwerkraft „Schwere“, das heißt Gewicht erhält. Das Gewicht selbst ist jedoch keine Eigenschaft der Masse, es wird ihr durch die Schwerkraft verliehen. Außerdem ist Masse „träge“. Sie ändert ihre Bewegung nur dann, wenn ausreichend große Kräfte oder ein entsprechender Energieimpuls auf sie wirken. Außerdem hatten wir bei den Wahrnehmungen herausgearbeitet, dass man das, was außerhalb unseres Kopfes existiert, mit den Begriffen Strukturen, Bewegungen und Kräfte zusammenfassen kann. Massen sind weder Kräfte noch Bewegungen. Massen können folglich nur Strukturen sein, auf die wiederum Kräfte und Bewegungen, respektive Energie, einwirken. Man könnte also sagen, Masse besteht aus Strukturen und Strukturen haben die Eigenschaft, Masse zu sein.

Der Dialektik von Struktur und Bewegung beziehungsweise Masse und Energie widmet sich auch ein Abschnitt des zweiten Teils, auf den hier verwiesen werden soll.

Bild: kamelopedia.mormo.org

zuletzt geändert: 30.05.2019

Was ist da draußen?

Heute scheint die Sonne. Es ist hell, das Licht lässt die Farben erstrahlen und es wärmt meine Haut. Vögel singen. In der Luft ist ein Hauch von Lindenblüten. Man meint, Honig zu schmecken. Dazu tönt aus dem Radio leise Musik. Kann ein Morgen schöner sein? Nun noch einen Kaffee und ein frisches Brötchen und der Morgen wäre perfekt. Aber was von alldem ist real? Das Brötchen und der Kaffee, die Vögel und das Radio auch. Natürlich auch die Sonne, die Lindenblüten und die Luft. Hingegen, dass dieser Morgen hell ist, die Farben erstrahlen und die Haut von der Sonne gewärmt wird, das ist Fiktion. Es ist die Übersetzung unseres Gehirns für die Tatsache, dass uns gerade energiereiche Sonnenstrahlung erreicht. Die Strahlung selbst ist weder hell noch dunkel oder gar farbig und warm. Auch Schwingungen der Luft sind noch lange keine Töne. Sie sind lediglich Ausdruck für die Ausbreitung von Energie. Damit aus den Luftwellen, die unser kleiner Vogel erzeugt, Töne werden, braucht es ein Sinnesorgan, das die Luftschwingungen registriert, elektrische Impulse erzeugt und an das Gehirn weiterleitet. Das Gehirn, der große Kapellmeister, lässt daraus Musik oder eben Vogelgezwitscher entstehen. Ähnliches gilt für den Geruch der Lindenpollen. Dass sie scheinbar riechen oder gar schmecken, ist eine Hilfe, eine Krücke, die uns das Gehirn an die Hand gibt, damit wir uns in unserer Umwelt zurechtfinden und nicht elend verhungern.

Alles, was schön ist, aber auch alles, was uns ärgert oder gar wehtut, hat seinen Ursprung im Gehirn, diesem kleinen Tyrannen. Es dient dazu, dass dieser große Körper Mensch, den das Gehirn nunmal zum eigenen Überleben braucht, auch das tut, was ihm, dem Gehirn, am besten bekommt. Gott-sei-Dank, ist dieses Beste für das Gehirn auch meist das Beste für den Körper. Dies gilt allerdings nicht zwangsläufig, wie man aus der Kulturgeschichte des Alkohols oder anderer Drogen ablesen kann. Das Gehirn mag den Rausch, auch wenn die Leber Schaden nimmt.

Wenn also alles, was das Leben schön und aufregend, ja lohnend macht, über das Gehirn vermittelt wird, was ist dann da draußen, außerhalb unseres Kopfes? Was ist wirklich in unserer Welt? Dazu sollten wir uns noch einmal anschauen, was die Sinnesorgane registrieren, bevor die Informationen in Wahrnehmungen umgewandelt werden. Das Sehen von Licht und Farben, wie auch die wohltuende Wärme der Sonne basiert auf der Registrierung ihrer energetischen Strahlung, die wiederum durch die Bewegung der Photonen bestimmt ist. Die Reaktion der Haut auf die Temperatur der Luft basiert im Kern auf der Abgabe beziehungswise Aufnahme von Energie. Das Hören beruht auf der Wahrnehmung von Schwingungen der Luft, die ihrerseits Ausdruck von deren Energiegehalt sind. Im Gegensatz dazu basieren das Schmecken und das Riechen auf dem Erkennen von materiellen Strukturen, denn die Moleküle, die sich an diese Sinneszellen anlagern, haben einen für den jeweiligen Stoff charakteristischen Aufbau. Man kann die Sinneszellen der Nase und des Mundes vielleicht mit Schlössern vergleichen, in die jeweils nur ein bestimmter Schlüssel oder eine Gruppe von Schlüsseln respektive Molekülstrukturen passt. Wenn ein bestimmtes Schloss einen Eindringling meldet, dann ist klar, welcher Stoff der Übeltäter oder auch Wohltäter gewesen sein muss.

Kehren wir noch einmal kurz zum Sehen zurück. Man sieht nicht nur hell und dunkel sowie Farben, sondern auch Linien, Formen und räumliche Strukturen, ebenso wie Bewegungen in ihnen. Die sind tatsächlich vorhanden. Mag sein, dass auch beim Erkennen von Linien, Formen und Strukturen das Gehirn hilfreich zur Seite steht, zum Beispiel, indem Konturen verstärkt oder Formen durch den Abgleich mit Erfahrungen identifiziert werden. Trotzdem bleibt, dass Linien, Formen und Strukturen sowie Bewegungen darin tatsächlich in der Umwelt vorhanden sind, sonst würden wir uns auch nicht in ihr zurechtfinden. Dann kennen wir noch das Druckempfinden der Haut, das eine Reaktion auf Kräfte darstellt, die auf diese wirken. Der Gleichgewichtssinn und das Registrieren von oben und unter, hängen wiederum mit der Schwerkraft der Erde zusammen.

Wenn wir das, was unsere Sinnesorgane, registrieren, zusammenfassen, dann sind das

  • die Strahlung der Sonne, deren Wirkung aus der Bewegung der Photonen resultiert
  • der Energiegehalt der Luft, der sich in der Bewegungsintensität ihrer Bestandteile ausdrückt
  • mikroskopisch kleine Strukturen in Form von Atomen und Molekülen
  • Räume, die durch Linien, Formen, Abstände und andere Strukturelemente bestimmt werden
  • Bewegungen in diesen Räumen sowie
  • Kräfte, die auf uns und alles, was uns umgibt, wirken.

Das „da draußen“ besteht also summa summarum aus

Strukturen, Bewegungen und Kräften.

Es sei wieder auf den zweiten Teil verwiesen, wo das Verhältnis von objektiver Realität und subjektiver Wahrnehmung noch einmal näher beleuchtet wird.

Bild: Der Denker aus geo.de

 zuletzt geändert: 25.05.2019

 

 

Ganz spezielle Relativitäten

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Das Verständnis des Messens spielt auch bei einer der berühmtesten Theorien der Physik eine fundamentale Rolle, bei Einsteins Spezieller Relativitätstheorie.

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts hatte James Clerk Maxwell dargelegt, dass Licht eine elektromagnetische Welle sein muss, die sich ebenso wie andere elektromagnetische Wellen mit einer endlichen konstanten Geschwindigkeit, der Lichtgeschwindigkeit, ausbreitet. Lange Zeit war man zudem der Meinung gewesen, dass der Weltraum von einem Stoff ausgefüllt sei, den man Äther nannte. Der Äther würde das Medium sein, in dem sich die elektromagnetischen Wellen ausbreiteten, ähnlich den Schallwellen in der Luft. Außerdem sollten sich deren Bestandteile zueinander in Ruhe befinden, so dass der Äther auch den Bezug für die Bestimmung der absoluten Geschwindigkeit des Lichts bilden würde.

Einstein war nun zu der Überzeugung gelangt, dass es einen Äther nicht gibt. Alle theoretischen Ansätze, die einen Äther postulierten, hatten sich als nicht haltbar erwiesen. Wenn es keinen Äther gab, dann konnte man auch keine absolute Geschwindigkeit des Lichts messen, da die Messung einer absoluten Bewegung nur in Relation zu ruhenden Objekten möglich ist. Wenn man eine absolute Bewegung des Lichts nicht messen kann, dann konnte sie, nach seiner Überzeugung, auch nicht existieren. Folglich musste die Maxwellsche Forderung zum Licht, sich mit endlicher und konstanter Geschwindigkeit auszubreiten, für alle messbaren, mithin alle relativen Bewegungen des Lichts gelten. Das heißt, es kann keine relative Geschwindigkeit geben, die höher als die Lichtgeschwindigkeit ist.

Vor diesem Hintergrund ist die Frage zu beantworten, was geschieht, wenn sich ein Beobachter in einer relativen Bewegung zum Licht befindet? Für unsere Überlegungen betrachten wir einen Lichtstrahl, der sich fokussiert in eine Richtung ausbreitet. Nehmen wir an, ein Beobachter könnte diesen Lichtstrahl parallel und mit Lichtgeschwindigkeit begleiten. In Analogie zu der von uns betrachteten Autojagd würde das bedeuten, dass sich der Lichtstrahl nicht vom Beobachter entfernt. Das heißt, in dem vom Beobachter mit dem Lichtstrahl gebildeten Bezugssystem wäre die relative Geschwindigkeit der beiden Protagonisten zueinander Null. Dies widerspräche jedoch der Relativitätstheorie. Die ihr zugrunde liegende Prämisse besagt, dass die relative Lichtgeschwindigkeit, das heißt, die im Verhältnis zu jedem beliebigen Objekt gemessene Geschwindigkeit des Lichts immer und überall gleich sei. Mit anderen Worten, „egal, wie schnell sie hinter einem Lichtstrahl herjagen, er entzieht sich ihnen mit Lichtgeschwindigkeit“(1). Das klingt paradox, ist es wohl auch. Noch deutlicher wird das Paradoxe dieses Ansatzes, wenn wir einen zweiten Beobachter, der an Ort und Stelle verharrt, zu unserer Betrachtung hinzunehmen. Der erste Beobachter, der dem Lichtstrahl hinterherjagt, entfernt sich mit Lichtgeschwindigkeit vom verharrenden Beobachter. Der Lichtstrahl – so die spezielle Relativitätstheorie – entfernt sich ebenfalls mit Lichtgeschwindigkeit von seinem Verfolger. Das hieße jedoch, der Lichtstrahl müsste sich nun mit doppelter Lichtgeschwindigkeit vom verharrenden Beobachter entfernen, jedenfalls nach gängiger Logik. Doppelte Lichtgeschwindigkeit ist jedoch ausgeschlossen. Und nun?

Wechseln wir zu einem anderen Gedankenexperiment, das im Zusammenhang mit der speziellen Relativitätstheorie häufig angeführt wird. In diesem Gedankenexperiment bedient man sich zur Messung der Zeit einer Lichtuhr. Durch deren einfache Konstruktion sind äußere und innere Einflussfaktoren weitgehend ausgeschaltet (2). Eine Lichtuhr besteht aus zwei parallelen Spiegeln, zwischen denen ein Photon hin- und herläuft. Jedes Anschlagen des Photons an einen Spiegel sei eine Zeiteinheit. Es wird nun die Frage gestellt, ob eine Bewegung der Uhr Einfluss auf die Zeitmessung hat. Würden eine stationäre und eine bewegte, das heißt gleitende Lichtuhr das gleiche Resultat der Zeitmessung erbringen?

stationäre Lichtuhr                                   gleitende Lichtuhr

 

 

 

 

Man betrachtet den Weg, den das Photon aus Sicht eines außen stehenden Beobachters zurücklegt. In der stationären Uhr ist es ein gerader vertikaler Weg A zwischen den beiden Spiegeln. In der bewegten Uhr kommt aus der Sicht des Beobachters zu der vertikalen Bewegung des Photons die horizontale Bewegung der Uhr mit einem Betrag B hinzu. Aus der Summe beider Bewegungen resultiert eine Diagonale, die den Weg des Photons aus der Sicht des außen stehenden Beobachters beschreibt. Die Diagonale C, die das Photon von einer Berührung des Spiegels bis zur nächsten Berührung zurücklegen muss, ist länger als der vertikale Weg A. Da die Geschwindigkeit des Photons gleich bleibt, sein Weg aber länger wird, muss sich ein anderer Faktor verändern. Als solcher Faktor bliebe nur die Zeit. Das heißt, das Zeitintervall, in dem das Photon in der gleitenden Lichtuhr den Spiegel berührt, müsste länger werden, obwohl in der synchron laufenden stationären Uhr exakt ein Anschlag erfolgt (3).

Wie geht das zusammen? Also noch einmal: Die stationäre Uhr macht einmal „tick/tack“ und die gleitende Lichtuhr auch – zeitgleich, versteht sich. Der Weg, den das Photon in der stationären Uhr zurücklegt, entspricht dem errechneten Weg in Lichtgeschwindigkeit. Der Weg des Photons in der gleitenden Lichtuhr ist wie wir gerade sahen, länger, die Geschwindigkeit des Photons bleibt jedoch gleich. Das Zeitintervall von „tick“ nach „tack“  ist aber für beide Uhren ebenfalls gleich, was ein Beobachter bestätigen würde. Um diesem Dilemma zu entgehen, postuliert die spezielle Relativitätstheorie, dass die Zeit in dem gleichen Zeitraum von „tick“ nach „tack“ in der gleitenden Lichtuhr langsamer gelaufen sein muss als in der stationären. Es wird also neben der gemessenen Zeit von „tick“ nach „tack“ noch eine „Geschwindigkeit“ des Zeitverlaufs eingeführt. Das ist zweifellos revolutionär, erhält die Zeit doch damit quasi eine stoffliche Eigenschaft – eine Fließgeschwindigkeit.

Man könnte die gleitende Lichtuhr aber auch unter dem Aspekt zusammengesetzter Bewegungen betrachten. Bei der „Verlängerung“ des Weges, den das Photon in den Augen eines äußeren Beobachters zu bewältigen hat, treten nämlich zwei Bewegungen in Erscheinung. Erstens, die Bewegung der Uhr und zweitens die Bewegung des Photons. Beginnen wir mit der Bewegung der Uhr. Unser Beobachter befindet sich mit der Uhr in einem Bezugssystem, in ein und demselben definierten Raum. Nehmen wir unsere Überlegungen zu dem gleichmäßig dahinfahrenden Zug zur Hilfe, dann ist die gleitende Lichtuhr gewissermaßen der Zug. Ein Beobachter am Bahndamm sieht die Bewegung des Zuges in der Landschaft, die er auch messen kann. Wenn die Rollos geschlossen sind, kann er nicht sehen, was im Zug passiert. Bewegungen im Zug kann er nicht messen. Einem Beobachter der Lichtuhr kann Ähnliches geschehen, zum Beispiel dann, wenn sich die Lichtuhr in einem geschlossenen Kasten befindet. Dann kann er die Bewegung der Photonen weder sehen noch messen. Nur die Bewegung der Lichtuhr ist vom Standpunkt unseres Beobachters eine relative Bewegung, die er messen kann. Sie befindet sich mit ihm in einem Bezugssystem.

Soweit zur Lichtuhr. Dann ist da noch die Bewegung des Photons. Hinsichtlich der Bewegung des Photons innerhalb der Lichtuhr ist der Beobachter ein außerhalb stehender Dritter, der nicht zum Bezugssystem gehört. Wenn sich die Lichtuhr in einem geschlossenen Kasten befände, dann kann er nicht einmal wahrnehmen, ob es in der Lichtuhr überhaupt eine Bewegung gibt. Falls er jedoch in die Lichtuhr hineinschauen kann und dort eine Bewegung registriert, dann muss er sich im Klaren sein, dass die Bewegung innerhalb der Lichtuhr von außen nicht zweifelsfrei messbar ist. Messen könnte er nur, wenn er sich selbst in relativer Ruhe zu diesem Bezugssystem befände. Dazu müsste er sich parallel zur Lichtuhr und mit der gleichen Geschwindigkeit wie diese bewegen. In diesem Fall würde er allerdings zu dem gleichen Messergebnis gelangen wie bei einer stationären Uhr. Wenn sich nun der Beobachter nicht vom Fleck rührt und trotzdem die Bewegung innerhalb der gleitenden Lichtuhr untersuchen will, so muss er wieder die beiden Bewegungen – Bewegung der Uhr und Bewegung des Photons – unterscheiden. Die angenommene Diagonalbewegung als Resultante beider Bewegungen ist, genau besehen, eine Sinnestäuschung, denn es werden zwei Bewegungen unterschiedlicher Bezugsebenen vermischt. Im übrigen, ein Männlein auf dem Mars, das unser Experiment mit Interesse verfolgt, hätte neben der Bewegung des Photons und der Bewegung der Lichtuhr auch noch die relative Bewegung der Erde im Verhältnis zum Mars bei der Bewertung seiner Beobachtungen zu berücksichtigen.

Die spezielle Relativitätstheorie macht hinsichtlich der verschiedenen Bezugssysteme für Messungen keine Unterschiede. Ganz egal, von wo aus man die Geschwindigkeit des Lichts ermittelt – ob vom Mars, ob als stationärer Beobachter einer gleitenden Lichtuhr oder als sich parallel zur Lichtuhr bewegend – sie muss immer gleich groß, eben Lichtgeschwindigkeit sein. Blicken wir an dieser Stelle noch einmal zurück auf unsere Überlegungen im Zusammenhang mit der Verbrecherjagd und der dazugehörenden Schießerei. Die Kugel erhält ihre Geschwindigkeit durch den Impuls, der von der Waffe ausgeht. Die Aufprallenergie in Bezug auf das parallel fahrende Auto wird genau von diesem Impuls bestimmt. Beim Aufprall der Kugel auf einen Baum am Straßenrand kommt jedoch zur Energie der Kugel die Energie aus der Annäherung des Autos an den Baum hinzu. Das heißt beim Aufprall addieren sich beide Energiemengen, ohne dass sich die Geschwindigkeiten der Kugel oder des Autos veränderten.

Auf die Lichtuhr bezogen heißt das, würde das Photon aus der gleitenden Lichtuhr auf ein Hindernis treffen und seine Energie abgeben, dann wäre die durch das Hindernis zu absorbierende Energie gleich der Summe aus der Energie des Photons plus der Energie die der Bewegung der Lichtuhr entspricht. Wenn man eine zusammengesetzte Bewegung in Bezug auf das Licht allerdings verneint, dann würde dies bedeuten, dass beim Zusammenstoß des Photons mit einem Hindernis, nur die Energie des Photons abgegeben wird, weil die Energie aus der Bewegung der Lichtuhr im Dogma der speziellen Relativitätstheorie „verschwunden“ ist. Diese Überlegung soll mit einem zugespitzten Beispiel weiter verdeutlicht werden. Man nehme zwei Photonen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, jedoch in entgegengesetzter Richtung. Obwohl sich nun beide Photonen mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, entfernen sie sich nicht etwa mit doppelter Lichtgeschwindigkeit voneinander, sondern – so die Spezielle Relativitätstheorie – mit einfacher Lichtgeschwindigkeit. Verwundert reibt man sich die Augen. Ein Photon verkörpert ein bestimmtes Quantum an Energie, das sich in seiner Freuquenz und seiner Ausbreitung in Lichtgeschwindigkeit ausdrückt. Die Frequenz der betrachteten Photonen sei gleich und soll in unserer Betrachtung außen vor bleiben. Nennen wir den verbleibenden Teil des Quantums, der sich in der Ausbreitung mit Lichtgeschwindigkeit ausdrückt, Energie A. Zwei gleichartige Photonen verkörpern demnach Energie in einer Größe von 2 x A. Bestimmt man nun die Energie, mit der sich die Photonen voneinander entfernen, dann wird aus der Größe 2A mit einem Mal 1A, da sie sich ja nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen sollen. Das andere Quantum A ist verschwunden. Aber keine Sorge, betrachten wir die Bewegung der Photonen nicht mehr in Bezug aufeinander, sondern in Bezug auf andere Objekte, dann taucht die Energie, wie aus dem Nichts, wieder auf. Das heißt, Energie entsteht oder verschwindet, je nach dem wie wir sie messen. Aha!?

Einstein hatte die Existenz einer absoluten Geschwindigkeit des Lichts zusammen mit dem Äther verworfen und postuliert, nur relative Bewegungen des Lichts seien physikalisch relevant, da nur diese gemessen werden können. Richtig ist, dass nur relative Bewegungen des Lichts messbar sind, was nichts anderes heißt, als dass man für das Messen einer Bewegung einen Bezugspunkt, ein Bezugssystem braucht. Das gilt allerdings für jegliches Messen, denn das Messen ist immer ein Vergleichen verschiedener Objekte oder Sachverhalte mit einem Maßstab. Der Maßstab ist das  Bezugssystem, im Verhältnis zu welchem die relative Bestimmung von Eigenschaften erfolgt. Die Existenz dieser Eigenschaften hängt jedoch nicht vom Bezugssystem ab oder davon, dass man sie messen kann. Man hat, zum Beispiel, den absoluten Nullpunkt nie gemessen, trotzdem wird niemand seine Existenz als Grenzwert bestreiten. Ähnliches gilt im übrigen auch für die Lichtgeschwindigkeit. Als Lichtgeschwindigkeit bezeichnet man die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Photonen im leeren Raum. Sie stellt ebenfalls einen Grenzwert dar, da es kein Objekt gibt, dass eine höhere Geschwindgkeit erreichen kann. Deshalb ist es nicht möglich, die Geschwindigkeit des Lichts direkt zu messen, denn dafür müsste es ein Messinstrument geben, das sich schneller als das Licht bewegt. Es sind jedoch indirekte Messungen möglich, mit deren Hilfe man diesen Grenzwert recht genau emitteln konnte. Der Fakt, dass die absolute Geschwindigkeit des Lichts nicht direkt gemessen werden kann, ändert jedoch nichts daran, dass sie eine reale Größe ist, wie theoretisch und praktisch immer wieder bestätigt wurde. Selbst Einsteins Theorien basieren auf dem Wert der „eigentlich“ nicht messbaren absoluten Geschwindigkeit des Lichts.

Quellen:

  1. Stephen W. Hawking: Eine kurze Geschichte der Zeit. Die Suche nach der Urkraft des Universums; Lizenzausgabe mit Genehmigung des Rowoldt Verlags, Reinbek, Copyright 1988
  2. Julian Schwinger: Einsteins Erbe. Die Einheit von Raum und Zeit; 2. Auflage 1988, Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg
  3. Brian Greene: Das elegante Universum. Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel; Siedler Verlag 2000, Copyright des Originals 1999

(1) vgl. B.Greene S. 50 und J.Schwinger S. 21

(2) vgl. B.Greene S.55 ff und J. Schwinger S. 46 ff

(3) vgl. B. Greene S.56/57

(4) vgl. B.Greene S.65 ff

Bild: imagesCA873JA5

 zuletzt geändert: 06.06.2019

Bewegungen

Wie ist das nun mit den Bewegungen? Wie kann man Bewegungen messen?

In der Praxis scheint das wieder recht simpel zu sein. Man misst eine Strecke aus, die eine Läuferin zurücklegen soll. Dann misst man die Zeit, die sie für die Strecke benötigt und kann daraus die Geschwindigkeit, das heißt die Anzahl der Meter, die sie in der Zeiteinheit zurücklegt, ermitteln. Diese Messung hat allerdings eine ganze Reihe von Voraussetzungen. So gehen wir davon aus, dass die Läuferin diese Strecke auf schnurgeradem Wege hinter sich bringt, das heißt, tatsächlich nur die ausgemessene Entfernung zurücklegt. Die dritte Dimension, das Auf und Ab des Körpers, lassen wir bei der Ermittlung der zurückgelegten Strecke gänzlich außen vor. Wir berücksichtigen auch nicht, dass die Läuferin einmal schneller und dann wieder langsamer laufen könnte. Wir ermitteln einen Durchschnittswert. Außerdem könnte es noch diverse Messfehler gegeben haben, zum Beispiel weil die Strecke nicht exakt vermessen wurde oder weil der Messende die Handhabung der Stoppuhr nicht gewöhnt war. Selbst wenn wir sagen, für unseren Zweck reicht die erhaltene Genauigkeit aus, dann steht da immer noch die Frage im Raum, was unsere Messung eigentlich aussagt.

Wir messen einen Weg in Relation zum Urmeter. Unsere Strecke ist, sagen wir, einhundert Mal die Länge vom Urmeter. Und wir messen die für den Lauf benötigte Zeit. Das Ergebnis sind 14,3 Sekunden oder anders gesagt, 14,3 Teile des in 86.400 Sekunden untergliederten Sonnentags. Diese beiden relativen Ergebnisse setzen wir ins Verhältnis und erhalten die durchschnittliche Geschwindigkeit der Läuferin. Das Ergebnis aus zwei relativen Größen kann nur wieder eine relative Größe sein. Das heißt, wir ermitteln eine relative Geschwindigkeit, auch wenn der Bezug zum Urmeter beziehungsweise zum Sonnentag bereits in den Hintergrund getreten ist. Trotz der Relativität der Messung wird allerdings niemand bestreiten, dass sich die Läuferin bewegt, auch wenn wir ihre Geschwindigkeit nicht als absolute Größe ermitteln können. Es kommt noch etwas hinzu, denn nicht nur das Messen der Geschwindigkeit ist relativ, in Relation zu einem beziehungsweise mehreren Maßstäben, auch die Bewegung selbst können wir immer nur in einem bestimmten Bezugssystem beobachten. Je nach dem, wie wir dieses Bezugssystem definieren, ändert sich auch die von uns wahrgenommene und gemessene Bewegung. Zum besseren Verständnis müssen wir jetzt etwas tiefer in einige Beispiele eintauchen.

Stellen Sie sich vor, sie fahren in einem Zug. Die Fenster sind verdunkelt, so dass ein Blick nach draußen nicht möglich ist. Der Zug gleitet mit konstanter Geschwindigkeit erschütterungsfrei dahin. Unter diesen Bedingungen ist es für sie oder einen Mitreisenden nicht möglich, die Position oder die Geschwindigkeit des Zuges festzustellen. Für sie befindet sich das geschlossene System Zug mit allen Dingen darin in scheinbarer Ruhe. Eine Bewegung wäre nur durch den Blick nach draußen erkennbar. Das heißt, die gleichmäßige Bewegung eines Systems ist nur in Bezug auf die Umgebung, also auf ein anderes System wahrnehmbar und damit messbar.

Eigentlich wird damit eine Binsenweisheit beschrieben. Gilt doch für jede Messung, dass sie ihrem Wesen nach relativ ist. Sie benötigt sowohl einen gleichbleibenden Maßstab und ein genaues Messverfahren als auch äußere Bedingungen, die in den für die Messung relevanten Eigenschaften unverändert bleiben. Für den Zug als Ganzes ist der unveränderliche Bezug mit der  Landschaft gegeben, in der er sich bewegt. Für die Reisenden im Zug ist es das Innere des Zuges selbst, an dem sich jede Bewegung misst.

Stellen Sie sich nun vor, die Rollos, mit denen die Fenster des Zuges verdunkelt waren, werden hoch gezogen und der Blick durch die Scheiben wird möglich. Sie selbst seien zur Abwechslung nicht im Zug, sie stehen vielmehr am Bahndamm und können für die kurze Zeit des Vorbeifahrens in das Innere des Zuges blicken.

Im Abteil lässt ein Junge einen Tischtennisball auf einer Tischplatte springen. Der Ball springt sehr gerade, das heißt, vom selben Platz aus, hoch. So sieht es zumindest der Junge im Zug. Am Bahndamm stehend sehen Sie jedoch, dass sich der Zug bewegt, und mit ihm der Tisch und der Tischtennisball. In Ihrem Bezugssystem der offenen Landschaft ist augenscheinlich, dass sich der Tischtennisball bei jedem Hochspringen vom Tisch an einem anderen Ort in dieser Landschaft befindet. Man könnte fragen, wer hat nun recht mit seiner Beobachtung – sie, der sie am Bahndamm stehen und sehen, dass sich der Tischtennisball bei jeder Bewegung an einem anderen Punkt in der Landschaft befindet, oder der Junge im Zug, für den der Ball immer an der selben Stelle hochspringt. Offensichtlich haben beide recht – der Junge, der keinen Blick nach draußen wirft, weil er mit seinem Tischtennisball beschäftigt ist, und sie, der sie am Bahndamm stehen und den Zug, den Jungen und den Tischtennisball an sich vorbeifahren sehen.

Der Vater des Jungen, der sich ebenfalls im Zug befindet, sieht, als er seinen Blick kreisen lässt, sowohl den Jungen, der mit seinem Tischtennisball spielt, als auch einen einsamen Spaziergänger am Bahndamm. Ihm mögen die gleichen Gedanken durch den Kopf gehen wie uns. Er fragt sich nun, was würde passieren, wenn nach einiger Zeit die Rollos des Zugabteils wieder herunter gelassen würden. Wiederum wäre im Zug nicht feststellbar, ob und mit welcher Geschwindigkeit sich dieser bewegt. Müsste der Vater nun vergessen, was er vorher beobachtet hatte, weil er es jetzt nicht mehr wahrnehmen kann? Anders ausgedrückt, ist nur das aus Wahrnehmung respektive Messung entstandene Wissen des Beobachters „Wahrheit“ oder gibt es unabhängig von dieser Wahrheit noch eine andere Wahrheit, die nicht minder richtig ist, auch wenn sie unter den gegebenen Bedingungen nicht gemessen werden kann?

Obwohl der Reisende im gleichförmig dahin gleitenden Zug dessen Bewegung nicht wahrnimmt, so ist diese Bewegung doch vorhanden, wie der Beobachter am Bahndamm bezeugen wird. Damit nicht genug, denn der Zug bewegt sich nicht nur auf den Schienen durch die Landschaft, er nimmt auch an der Bewegung der Erde um ihre eigene Achse teil. Mit der Erde bewegt er sich um die Sonne, mit dem Sonnensystem um den Kern der Galaxis. Auch die Dinge im Inneren des Zuges sind nicht so bewegungslos, wie  sie scheinen, denn ihre Bausteine – Moleküle, Atome sowie deren Bestandteile – führen ein eigenes bewegtes „Leben“. Alles ist in Bewegung. Panta rhei, wie die alten Griechen meinten. Obwohl sich ein Objekt in einem bestimmten Bezugssystem in Ruhe befindet, wird man in einem anderen Bezugssystem hinsichtlich des selben Objekts Bewegung registrieren. Das heißt, wir „wissen“, dass auch dann, wenn wir keine Bewegung messen können, eine Bewegung in jedem Fall vorhanden ist. Diese Bewegung kann in mindestens einem Bezugssystem beobachtet beziehungsweise gemessen werden. Wenn man das Bezugssystem, in dem die Messung möglich war, verlässt, dann verschwindet die eben noch gemessene Bewegung nicht, auch wenn sie nun nicht mehr gemessen werden kann. Mit anderen Worten, jede konkrete im gegebenen Bezugssystem messbare, mithin relative Bewegung, kann in einem anderen Bezugssystem zur nur noch absoluten, das heißt, objektiv zwar vorhandenen aber nicht mehr messbaren Bewegung werden.

Um das Zusammenwirken von absoluter und relativer Bewegung besser zu verstehen, wollen wir uns ein weiteres Beispiel anschauen. Stellen Sie sich eine Autoverfolgungsjagd vor, wie sie mitunter in Kriminalfilmen zu sehen ist. Es kommt zu der Szene, da Räuber und Gendarm mit ihren Autos auf gleicher Höhe fahren. Die Geschwindigkeit der Autos sei 100 Kilometer in der Stunde. Trotzdem wird der Superheld vom Dach des einen Autos auf das Dach des anderen Autos springen. Das ist möglich, weil die relative Geschwindigkeit der beiden Autos zueinander annähernd Null ist. Das heißt, im Bezugssystem der beiden gleichmäßig dahin rasenden Autos herrscht relative Ruhe, in dem Sinne, dass sich die Autos nicht voneinander entfernen. Trotzdem rasen sie mit 100 km/h die Straße entlang, was unserem Helden spätestens dann schmerzhaft bewusst würde, wenn der Sprung misslingen sollte und er nicht auf dem anderen Auto sondern im Straßengraben landete. Die Bewegung ein und desselben Autos erlangt also in Abhängigkeit vom betrachteten Bezugssystem (Auto oder Straßengraben) unterschiedliche physikalische Bedeutung.

Das ist noch nicht alles. Bevor die Autos im Rahmen der Verfolgungsjagd auf gleicher Höhe fuhren, war es nämlich zu einer Schießerei gekommen. Sagen wir der Einfachheit halber, beide Autos hatten zu diesem Zeitpunkt ebenfalls eine konstante Geschwindigkeit von 100 km/h. Die Frage ist, welche Auswirkungen hat die Geschwindigkeit der Autos auf die Geschwindigkeit der Pistolenkugeln? Müssen wir die 100 km/h der Autos zur Geschwindigkeit der Kugeln hinzuaddieren? In unserem Beispiel rasen die Autos zwar mit 100 km/h die Straße entlang, ihr Abstand zueinander verändert sich jedoch nicht. Insofern bewegt sich die Kugel in einem „ruhenden“ System. Ihre Geschwindigkeit respektive Energie beim Aufprall auf den verfolgten Wagen ist keine andere, als wenn die Autos irgendwo – gleichen Abstand zueinander vorausgesetzt – auf einem Parkplatz stünden. Ganz anders sieht es aus, wenn die Kugel des Verfolgers ihr Ziel verfehlt und in ein am Straßenrand parkendes Auto einschlägt. In diesem Fall befinden sich die beteiligten Autos nicht in relativer Ruhe zueinander. Das verfolgende Polizeiauto und das parkende Auto bewegen sich aufeinander zu. Zur „normalen“ Geschwindigkeit respektive Energie der Kugel kommt nun die relative Geschwindigkeit, mit der sich die beiden Autos einander annähern, hinzu. Die Aufprallenergie der Kugel erhöht sich um den aus der Bewegung des Autos resultierenden Energiebetrag. Wiederum erlangt also ein und dieselbe Bewegung eine andere physikalische Bedeutung, sobald das betrachtete Bezugssystem wechselt. Dies würde sich auch in den entsprechenden Messergebnissen widerspiegeln.

Es könnte natürlich sein, dass das fälschlicherweise getroffene Auto nicht am Straßenrand parkte, sondern dem Schützen entgegen kam. Dann ist neben der Geschwindigkeit respektive Energie des Polizeiautos auch die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Autos bei der Bestimmung der Aufprallenergie der Kugel zu berücksichtigen. Die relative Geschwindigkeit, mit der sich die Kugel dem entgegenkommenden Auto nähert, ist wiederum höher als in Bezug zum parkenden Auto. Auf der anderen Seite erhält die Kugel ihre Bewegung durch den Impuls, der von der Waffe ausgeht. Dieser Impuls verändert sich nicht. Das heißt, die Geschwindigkeit, mit der sich die Kugel von der Waffe entfernt, wird durch die Geschwindigkeit des Autos nicht beeinflusst. In diesem Sinne ist sie absolut. Soll die Geschwindigkeit, mit der sich die Kugel von der Waffe weg bewegt, gemessen werden, dann müsste sich der Messende innerhalb des betrachteten Bezugssystems und dort in relativer Ruhe zum Gegenstand der Messung befinden. Das heißt, er muss sich mit der gleichen Geschwindigkeit und in die selbe Richtung wie unser Schütze bewegen. Messungen, die von einem parkenden oder einem entgegen kommenden Auto vorgenommen würden, wären immer durch die relative Bewegung zwischen dem Messenden und dem Gemessenen beeinflusst. Würde man trotzdem eine Messung von außen, das heißt von außerhalb des Bezugssystems, versuchen, müssten die zusätzlichen Faktoren, die nun die Messung beeinflussen, separat bestimmt werden, wodurch allerdings die Zahl möglicher Fehlerquellen wächst.

Diese scheinbar komplizierten Zusammenhänge können auf die bereits genannten Grundprinzipien des Messens zurückgeführt werden. Für jede Messung braucht man einen Maßstab und ein Messverfahren, die sich im Rahmen einer Messreihe nicht verändern dürfen. Das gleiche gilt für das betrachtete Bezugssystem und die in ihm herrschenden Bedingungen. Nur unter dieser Voraussetzung sind die erzielten Ergebnisse wirklich vergleichbar.

Zur Dialektik des Messens von Bewegungen finden sich im zweiten Teil im Abschnitt „Objektive Realität und subjektive Wahrnehmung“ weitere Überlegungen.

Bild: www.oberberg-aktuell.de

zuletzt geändert: 30.05.2019

Über das Messen

Wir erfahren diese Welt mit unseren Sinnen beziehungsweise durch das, was unser Gehirn aus den Signalen der Sinnesorgane macht. An diesen Informationen orientieren wir unser Handeln, um ein gesetztes Ziel zu erreichen. Selbst, wenn wir das Ziel verfehlen, gewinnen wir immerhin Erfahrungen, die uns helfen, zukünftige Wahrnehmungen besser einzuordnen und erfolgreicher zu handeln. Das setzt allerdings voraus, dass die für die jeweilige Situation zutreffende Erfahrung zurate gezogen wird. Für die Auswahl der am besten geeigneten Erfahrung ist ein Abgleich der Wahrnehmungen mit den vorhandenen Erfahrungen erforderlich. Vergleiche helfen aber nicht nur bei der Auswahl der richtigen Erfahrungen, sie ermöglichen auch, dem Leben eine gewisse Ordnung zu geben. So veranstaltet man zum Beispiel Wettkämpfe um herauszufinden, wer der schnellste Läufer ist, wer am weitesten springen oder werfen kann. Heute sind diese Wettkämpfe vor allem Unterhaltung, für unsere frühen Vorfahren war das Kräftemessen jedoch wichtiger Teil des Zusammenlebens, da sich in den Wettkämpfen eine Rangordnung herausbildete. Es werden aber nicht nur Leistungen miteinander verglichen, sondern auch Dinge, die auf diese Weise nach bestimmten Kriterien geordnet werden können. Zu den wichtigsten Kriterien gehören mengenmäßige Bestimmungen, die man durch einfaches Abzählen oder durch Messungen ermittelt. Ferdinand meinte, wir sollten uns jetzt die Methoden des Messens etwas genauer ansehen.

Da steht ein Tisch, dessen Länge wir ausmessen können. Dafür brauchen wir einen Gliedermaßstab – welch ein hässliches Wort. Mein Opa hat noch Zollstock gesagt. Das trifft zwar inhaltlich nicht zu, weil bei uns Längen nicht mehr in Zoll gemessen werden, trotzdem finde ich das Wort griffiger. Ans Werk! Ich klappe den Zollstock auseinander, lege ihn an die Tischkante an und lese auf dem Zollstock die Länge ab – 1,20 m. Die Tischkante ist 1,20 Meter lang. Das war einfach. Manchmal lohnt es sich, über die scheinbar einfachen Dinge nachzudenken. Noch einmal. Was habe ich beim Vermessen der Tischkante getan? Ich habe den Zollstock auf den Tisch gelegt und dessen Länge an dem auf dem Zollstock aufgezeichneten Maßstab abgelesen. Woher kommt dieser Maßstab? Es waren die Franzosen, die in den Jahren nach der Revolution von 1789 nicht nur das Herrschaftssystem umkrempelten sondern auch das System der Maße. Es sollte auf Dezimalbasis vereinheitlicht und auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt werden. In diesem Zuge wurde auch der Meter als Längenmaß eingeführt. Die Länge eines Meters berechnete man auf der Basis geophysikalischer Größen. Der Vorteil dieses Herangehens war, dass die ausgewählten Parameter hohe Beständigkeit aufwiesen. Die dem Meter zugrundegelegte Berechnung konnte auf diese Weise jederzeit nachvollzogen werden. Trotzdem war die Auswahl der für die Berechnung genutzten Größen willkürlich. Man hätte auch andere Werte zugrunde legen können, dann hätte der Meter halt eine andere Länge gehabt.

Den für den Meter berechneten Wert brachte man in eine metallische Form, die als Urmeter fortan Ausgangspunkt aller metrischen Messungen wurde. Den Urmeter untergliederte man in hundert gleiche Teile, die Zentimeter, die weiter unterteilt werden konnten. Man kann den Meter natürlich auch vervielfachen und so zum Beispiel einen Kilometer erhalten. Der gewonnene Maßstab konnte nun auf ein Messmedium, einen Zollstock zum Beispiel, aufgetragen werden, so dass ein Werkzeug zum Messen entstand. Wenn man einen solchen Zollstock auf den Tisch legt und die Länge der Tischkante am Maßstab abliest, dann vergleicht man im Kern also die Länge der Tischkante mit der Länge des Urmeters. Bei meiner Messung habe ich demnach festgestellt, dass die Kante des Tisches 20 Hundertstel länger als der Urmeter ist. Der Urmeter wurde zum Bezugssystem aller metrischen Messungen. Ich ermittele beim Messen demnach keinen absoluten Wert, sondern einen relativen Wert im Vergleich zum Urmeter. Diesen relativen Wert der Länge kann ich wiederum nur ermitteln, weil der Tisch tatsächlich eine Längenausdehnung, eine absolute Länge hat.

Für eine Messung braucht man also ein Messwerkzeug mit einem Maßstab. In unserem Fall war der Maßstab der Urmeter mit seiner dezimalen Unterteilung, das Messwerkzeug war der Zollstock. Mit dem Namen Zollstock verbindet sich das Wissen, dass auch andere Maßstäbe der Längenmessung möglich sind. In früheren Zeiten waren viele unterschiedliche Maße gebräuchlich, was den Warenverkehr behinderte und Missverständnissen Vorschub leistete. Die Vereinheitlichung der Maßsysteme kann daher als epochale Errungenschaft angesehen werden, ohne die der rasante Siegeszug der Industriellen Revolution kaum vorstellbar ist. Im internationalen Vergleich finden wir jedoch nach wie vor verschiedene Maßsysteme. Sie wirken in einer globalisierten Welt allerdings wie aus der Zeit gefallen. Als Messwerkzeuge sind ebenfalls ganz unterschiedliche Instrumente in Gebrauch. Letzteres hat einen guten Grund, da für die verschiedenen Zwecke die Messgeräte unterschiedliche Eigenschaften aufweisen müssen. Letztendlich ist es jedoch egal, ob wir ein Lineal, einen Zollstock oder ein Bandmaß benutzen, ob wir die Lasermessung oder ein Echolot einsetzen, wir  ermitteln immer einen Vergleichswert zum gewählten Maßstab, in unserem Fall zum Urmeter.

Eine Voraussetzung für den Vergleich verschiedener Messungen ist, dass der gleiche Maßstab verwendet wurde. Damit ist nicht nur das gleiche Maßsystem gemeint, sondern auch die Genauigkeit des benutzten Messwerkzeugs. Jede noch so kleine Abweichung des mit dem Messwerkzeug verwendeten Maßstabs vom Urmeter macht auch die entsprechende Messung ungenau. Damit das Vergleichsstück, das heißt der metallische Urmeter, selbst eine hohe Beständigkeit erhielte, stellte man es aus einem sehr stabilen Material, einer Legierung aus Platin und Iridium, her. Er wird bei exakt 0 Grad Celsius gelagert, denn die Temperatur hat bekanntlich Einfluss auf die Längenausdehnung des Materials. Für die Genauigkeit des Messvorgangs ist demnach wichtig, dass auch die äußeren Bedingungen der Messung den Bedingungen der Einlagerung des Urmeters entsprechen. An dieser Stelle kann man mit einem Seufzer der Erleichterung konstatieren, dass im Alltag meist keine derartig hohen Anforderungen an die Genauigkeit gestellt werden. Für die meisten Messungen sind die Genauigkeit des Zollstocks und die Messung bei Zimmertemperatur völlig ausreichend. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass alle drei Faktoren, der Maßstab, das Messverfahren und die äußeren Bedingungen des Messens, Quellen von Ungenauigkeiten sind. Hinzu kommt, dass nichts auf dieser Welt so bleibt, wie es ist. Das heißt, ganz egal, was man auch macht, während einer Messreihe werden sich immer Veränderungen ergeben, und seien sie auch noch so gering, die die Genauigkeit der Ergebnisse begrenzen. Messungen können also niemals absolut genau sein. Sie haben immer eine relative Genauigkeit, was unproblematisch ist, solange der Zweck der Messung erreicht wird.

Was kann man außer der Länge noch messen? Das Gewicht zum Beispiel. Ähnlich wie beim Meter war es auch hier die in der Französischen Revolution entstandene Nationalversammlung, die einen allgemeingültigen Maßstab für das Gewicht festlegte. Ein Urkilogramm wurde definiert und als Platin-Iridium-Zylinder in eine Form gegossen. Diese galt fortan als Maßstab für die Bestimmung der Gewichte. Wenn wir heute ein Gewicht ermitteln, zum Beispiel mit Hilfe einer Waage, dann bestimmen wir also einen Vergleichswert zum Urkilogramm.

Man kann auch die Temperatur messen. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Messverfahren der Temperatur nutzte man die Beobachtung, dass sich Körper, wenn sie erwärmt werden, ausdehnen und dies proportional zum Grad der Erwärmung. Für die Konstruktion von Messwerkzeugen verwendete man Flüssigkeiten, da sich diese in dünne Röhrchen bannen ließen, die ein einfaches Ablesen der Ausdehnung ermöglichten. Celsius setzte für sein Messinstrument Wasser ein. Für den erforderlichen Maßstab nutzte er den Siedepunkt und den Gefrierpunkt des Wassers bei einem Luftdruck von 760 Torr. Auf eine Skala übertragen gab er den erhaltenen Punkten die Werte 100 und 0. Den Zwischenraum unterteilte er in einhundert gleichmäßige Schritte, Grade genannt. Diese Skala konnte nun über die Fixpunkte hinaus nach oben und unten verlängert werden, so dass eine Skala entstand, mit deren Hilfe man die Temperaturen verschiedener Stoffe bestimmen konnte. Richtiger sollte man sagen, die Temperaturen der Stoffe konnten nun verglichen werden, da sie mit dem selben Maßstab bestimmt wurden. Durch den Vergleich erielt man eine Vorstellung von der unterschiedlichen Wärme der Dinge, die nun im Handeln Berücksichtigung finden konnte. Dass man die Temperatur immer nur relativ, in Bezug auf einen Maßstab bestimmt, ändert nichts daran, dass die Temperatur respektive der Energiegehalt eine tatsächliche Eigenschaft der Stoffe ist.

In der Geschichte entstanden verschiedene Maßstäbe für die Messung der Temperatur. Fahrenheit verwendete ein Quecksilberthermometer. Als Nullpunkt legte er eine Temperatur fest, die er bei einer Mischung aus Schnee und Salmiakgeist bestimmt hatte. Er nahm an, dass dies die tiefste in der Natur vorkommende Temperatur sei. Als zweiten Fixpunkt nutze er die normale Körpertemperatur des Menschen. Den Zwischenraum zwischen diesen beiden Punkten unterteilte er in 96 Einheiten. Réaumur wiederum verwendete wenige Jahre später ein mit Alkohol gefülltes Thermometer, dessen Gefrier- und Siedepunkt seine Fixpunkte waren. Der Zwischenraum wurde hier in 64 Punkte unterteilt. Im Laufe der Zeit hat sich in Europa die Skala nach Celsius weitgehend durchgesetzt, wobei Celsius selbst den Gefrierpunkt des Wassers mit 1000 und den Siedepunkt mit 00 festgelegt hatte. Erst Linné drehte die Skala um und erhielt die noch heute gebräuchliche Einteilung. In den USA wird die Temperatur meist nach der Skala von Fahrenheit angegeben.

Aus der Geschichte der Temperaturmessung sieht man, dass die Entwicklung eines Maßstabs jeweils eng mit den natürlichen Eigenschaften des benutzten Messmediums verbunden war. Die Auwahl des Messmediums erfolgte wiederum recht willkürlich. Selbst der Fakt, dass die Annahme Farenheits, die niedrigste in der Natur vorkommenden Temperatur betreffend, falsch war, verhinderte nicht, dass seine Temperaturskala bis heute Verwendung findet. Es ist also völlig gleich, welche Fixpunkte einer Skala zugrunde gelegt werden, die Qualität eines allgemeingültigen Maßes erhalten sie nicht durch deren wissenschaftliche Begründung sondern durch ihre Akzeptanz in der Gesellschaft. Dieser Umstand wird auch darin deutlich, dass sich die Messinstrumente im Laufe der Zeit vom ursprünglichen Messmedium, bei Celsius dem Wasser, entfernten. Heute werden ganz unterschiedliche Medien beziehungsweise Methoden zur Messung der Temperatur herangezogen, deren Resultate trotzdem in Grad Celsius angegeben werden.

Die Maßstäbe des Messens sind so vielfältig wie die Eigenschaften der Stoffe, die sie quantitativ bestimmen. Für alle gilt das Gesagte in ähnlicher Weise. Was wir uns unbedingt noch genauer anschauen müssen, sind Bewegungen und die Bestimmung ihrer Geschwindigkeit. Dafür wird eine weitere Größe benötigt, die Zeit. Was ist Zeit überhaupt? Stofflich, im eigentlichen Sinne, ist Zeit wohl nicht. Ganz allgemein könnte man vielleicht sagen, dass alles eine Zeit hat, in der es entsteht, sich verändert und wieder vergeht. Um die unterschiedlichen Zeiträume, in denen sich diese Prozesse vollziehen, vergleichen zu können, brauchte man einen Maßstab. Es war naheliegend, regelmäßig wiederkehrende Zyklen in der Natur, wie die Tage, die Mondphasen oder die Jahreszeiten, für einen derartigen Maßstab zu nutzen. Diese Zyklen konnte man in kleinere Einheiten unterteilen, so dass genauere Zeitangaben möglich wurden. Der durchschnittliche Sonnentag wurde beispielsweise in 24 Stunden zu jeweils sechzig Minuten gegliedert. Ein voller Zyklus der Jahreszeiten, gemessen am Stand der Sonne, wurde zu einem Jahr, ein Mondzyklus zu einem Monat. Für die Zählung der Jahre brauchte man noch einen Punkt, mit dem sie beginnen konnte. Die Festlegung eines solchen Anfangspunktes erfolgte wiederum recht willkürlich. Nicht überall wird zum Beispiel das derzeitige Jahr mit der Zahl 2019 nach Christi Geburt angegeben. Nach dem jüdischen Kalender sind wir im Jahr 5.780 nach Erschaffung der Welt, nach dem islamischen Kalender im Jahr 1.440 nach der Ankunft von Mohamed in Medina und nach dem Französischen Revolutionskalender im Jahr 230 nach dem Sturm auf die Bastille. Mit der Festlegung eines Anfangspunktes und eines Zyklus, wie dem Sonnenjahr, erhält man eine Zeitskala, die in beide Richtungen, also in Vergangenheit und Zukunft, verlängert werden kann. Als Messverfahren, kommt jeder gleichmäßig wiederkehrende Vorgang in Betracht. So liegen dem „Ticken“ der Uhren meist mechanische Schwingungen oder atomare Bewegungszyklen zugrunde. Für die Zeitmessung gilt jedoch das gleiche, wie für alle Messungen, man kann nicht den absoluten Verlauf der Zeit bestimmen, man kann lediglich Zeitperioden miteinander vergleichen.

Bild: www.br.de

zuletzt geändert: 06.06.2019

Glaube

Schritt für Schritt sammelten die Menschen Wissen über die Zusammenhänge in der Natur und wie man sich diese zunutze macht. Trotzdem blieb vieles unerklärlich, manches auch bedrohlich. Dort, wo Beobachtungen keine Erkenntnisse lieferten, nahmen sie Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen zur Hilfe, um sich die Welt zu erklären. Anfangs, als die Menschen gerade begannen, sich die Natur zielgerichtet nutzbar zu machen, entstand auf diese Weise die Vorstellung, dass nicht nur sie selbst, sondern auch die Pflanzen und Tiere handelnde Subjekte seien. Wie sie selbst, würden auch diese sicher einen Anführer haben, den man sich mit Bitten und Gaben gewogen halten wollte. Darüber hinaus schien es ihnen nur folgerichtig, dass auch die Erscheinungen in der Natur, die man sich nicht recht erklären konnte, das Werk von Subjekten seien. Da man diese nicht sehen konnte, waren sie wohl weder Mensch noch Tier, sondern etwas anderes, Götter eben. Wie sollte man mit Göttern umgehen? Verehrung, gutes Zureden und kleine Geschenke würden sicher auch bei ihnen für Wohlwollen sorgen. Der Einzelne tat das nicht für sich allein, sondern er tauschte sich mit anderen dazu aus, so dass sich nach und nach eine gemeinsame Vorstellung von der Natur und ihren Göttern herausbildete. In dieser Zeit stand für die Menschen jedoch noch außer Frage, dass sie selbst Teil dieser Natur seien. Folglich existierten auch die Götter nicht außerhalb ihrer Lebenswelt, sie waren vielmehr in einer mystischen Beziehung mit ihr verwoben.

Im Laufe der Zeit lernten die Menschen immer besser, sich die Natur nutzbar zu machen oder gegebenenfalls sich ihrer zu erwehren. Viele Erscheinungen, die ehemals furcherregend waren, flößten ihnen nun keine Angst mehr ein. Ihr Selbstvertrauen wuchs, so dass Pflanzen und Tiere mehr und mehr von Partnern zu Objekten ihres Tuns wurden. Es war auch ganz praktisch, wenn nicht hinter jedem Baum, den man fällen wollte, und hinter jedem Tier, das gejagt werden sollte, Götter zu vermuten waren, die erst besänftigt werden mussten, bevor man zur Tat schreiten konnte. Den Menschen schien es jetzt, dass ihnen die Erde mit den Pflanzen und Tieren darauf als Lebensraum gegeben sei, den sie zu eigenem Nutz und Frommen gebrauchen könnten. Allerdings waren da immer noch eine Reihe von Erscheinungen in der Natur, deren Ursachen sie nicht verstanden, die wohl doch das Werk von Göttern waren. Die Sonne, zum Beispiel, spendete Licht und Wärme, ohne die nichts gedeihen konnte. Aber warum verschwand sie jeden Abend, um am Morgen wiederzukommen? Wo war sie in der Zwischenzeit? Außerdem gab es verheerende Naturkatastrophen, nur warum? Es drängte sich auch die Frage auf, wer die Welt und die Menschen darin erschaffen hatte.

Es waren also Erklärungen zum Platz der Menschen in der Natur gefragt. Aber auch das Zusammenleben der Menschen hatte sich verändert. Große soziale Unterschiede waren entstanden. War das rechtens? In den alten Hochkulturen waren die Priester berufen und befähigt, Antworten auf diese Fragen zu geben. Die Antworten, die sie fanden, gingen in ihre Lehren ein. Die religiösen Lehren waren damit nicht mehr nur Mythos als Reflex auf Unwissen, sondern auch Sammelbecken des in ihrer Zeit vorhandenen Wissens über die Natur. Außerdem hatten sich ethische und moralische Normen des Zusammenlebens herausgebildet, die ebenfalls Bestandteil der religiösen Lehren wurden. Auf diese Weise erlangte die Religion eine zentrale Bedeutung für das Leben der Gemeinschaft. Sie wurde, da sie die entstandenen sozialen Strukturen heiligte, auch zu einem Machtinstrument der Herrschenden. Diese besondere Rolle des Glaubens hatte wiederum einen wachsenden Einfluss der Priester zur Folge. Sie wachten nun eifersüchtig darüber, dass die von ihnen vertretenen Lehren die alleingültigen blieben. So kam es einer Revolution gleich, als Echnaton im Ägypten des 14. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die herrschenden Götter verstieß, die reine Menschenliebe verkündete und nur noch der lebensspendenden Kraft der Sonne huldigen wollte. Damit wurde der allmächtig gewordenen Priesterkaste ein gewaltiger Schlag versetzt. Allerdings kehrte schon sein Sohn, nicht ganz freiwillig, zu den alten Göttern zurück.

Das alte Testament kündet ebenfalls von einem Neuanfang. Statt eine Vielzahl von Göttern zu preisen, die wie im alten Ägypten meist Tieren oder Fabelwesen ähnelten, sollte nur noch einem Gott gehuldigt werden. Von ihm sollte man sich kein Bild machen, gleichwohl offenbarte sein Tun menschliche Züge. Er war kein Gott aus einer anderen Welt, sondern jemand, der ihr Leben, ihre Nöte und Ängste kannte, und der sie aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit führen würde. Er war der Patriarch, der über die Gemeinschaft wachte und dessen Gesetze sie befolgten. Nachdem die Israeliten das gelobte Land gefunden und einen Staat gegründet hatten, veränderte sich jedoch allmählich ihr Zusammenleben. Die sich vollziehenden wirtschaftlichen und politischen Veränderungen fanden Eingang in die religiösen Lehren. Ihr Gott wurde vom sorgenden Vater mehr und mehr zum Herrscher, der Menschen belohnte oder bestrafte. Die Gemeinschaft selbst hatte sich ebenfalls verändert. Die Stammesgesellschaft hatte sich in ein Staatswesen verwandelt, das dem einzelnen mehr und mehr fremd wurde.

Im Laufe der Zeit verschärften sich die sozialen Spannungen. Da die herrschenden Lehren die Nöte und Ängste der Menschen nicht aufgriffen, entstanden neue religiöse Strömungen. Eine dieser Strömungen war das Christentum. Es rückte die Solidarität der Gläubigen in den Mittelpunkt, auch weil der Staat den Zusammenhalt der Gemeinschaft nicht mehr gewährleistete. Außerdem reflektierte es die durch die Entstehung des Privateigentums eingetretenen sozialen Veränderungen, zum Beispiel indem es die besondere Bedeutung der engeren Familie hervorhob. Die Kritik der Christen richtete sich vor allem gegen inhaltslos gewordene Rituale und eine Priesterschaft, die mehr auf ihre Macht als auf das Wohl der ihnen anvertrauten Menschen bedacht war.

Nur wenige Jahrhunderte später betrat der Islam die Bühne der Geschichte. Der jüdische Staat war bereits von den Römern zerstört worden, während das Christentum zur Staatsreligion im Römischen Reich avanciert war, dessen machtpolitischer Mittelpunkt nun im Osten, in Byzanz lag. Die arabischen Völker waren zu dieser Zeit in Clans zersplittert, die eifersüchtig über ihre Pfründe wachten und nicht selten einander befehdeten. Sie drohten, zur leichten Beute der mächtigen Nachbarn zu werden. Es war dringend erforderlich, die zerstrittenen Clans unter einem Führer zu einen. Nur so würde es möglich sein, die Unabhängigkeit ihrer Völker zu sichern und die eigenen Traditionen zu bewahren. Dieses zeitgeschichtliche Erfordernis trug sicher dazu bei, dass der Islam als Religion, die die Einheit der Völker durch die Verehrung eines Gottes und seines Propheten beförderte, schnelle Verbreitung fand.

In der Zeit der großen Entdeckungen verstärkte sich in Europa die bürgerliche Entwicklung. Diese Entdeckungen veränderten nicht nur das Bild der Menschen von der Welt, auch das Menschenbild war im Wandel begriffen. Die Vorstellung vom Menschen als unmündigem Lamm in Gottes und der Kirche Herde entsprach nicht mehr dem Geist der Zeit. Außerdem hatten die Wissenschaften wahrhaft revolutionäre Erkenntnisse erbracht und viele Thesen der christlichen Lehre erschüttert. Die Religion war nicht mehr Speicher des Wissens über die Natur, im Gegenteil, sie wurde, indem sie an ihren Dogmen festhielt, zum Hindernis des wissenschaftlichen Fortschritts. Auch die Gesellschaft veränderte sich zusehends. Diese Veränderungen fanden in Bestrebungen zur Reform der Kirche ihren Niederschlag. Radikalere Kritiker der bestehenden Verhältnisse lösten sich vollends von der Religion. Ihre Theorien über das Zusammenleben und die Perspektiven seiner Entwicklung nannte man Ideologien.

Die Entstehung religiöser und anderer Weltanschauungen war also immer Bestandteil des Versuchs der Menschen, sich die Welt zu erklären. Dort, wo Wissen fehlte, nahm man den Glauben an höhere Wesen oder einen erträumten Idealzustand der Gesellschaft zur Hilfe. Jedes dieser Glaubensbekenntnisse ist in meinen Augen gleichermaßen legitim, denn letztlich hat keines eine nachprüfbare Gewissheit auf seiner Seite. Diese Legitimität endet jedoch, sobald nachprüfbares Wissen vorhanden ist und doch geleugnet wird. Sie schlägt in Verbrechen um, wenn der eigene Glaube anderen aufgezwungen werden soll.

Bild: greekmythology.wikia.com

 zuletzt geändert: 27.05.2019

Nachsinnliches

Der Mensch wäre nicht zu dem geworden, der er ist, wenn er sich auf seine Wahrnehmungen und die Reaktionen darauf beschränkt hätte. Deshalb wollte Ferdinand als nächstes darüber diskutieren, was der Mensch mit den gewonnenen Informationen anfängt.

Sprache, Schrift und Wissen

Alles, was wir über unsere Umwelt und uns selbst erfahren, haben der Mensch gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, ertastet oder sonstwie über die Sinne erfahren. Diese Erfahrungen sind ein Schatz, aus dem er schöpfen kann, um sich in der Welt zurecht zu finden. Diesen Schatz kann er immens vergrößern, wenn er sich mit anderen über seine Erfahrungen austauscht.

Der Austausch über Beobachtungen und Erfahrungen spielte bereits bei unsere urzeitlichen Vorfahren, die sich einer oft feindlichen Umwelt erwehren mussten, eine große Rolle. Sie warnten sich gegenseitig vor Gefahren oder sie machten sich auf Nahrung aufmerksam und wie sie zu erlangen sei. Anfangs wurden dafür Gebärden und Laute verwendet, doch bald reichten die zur Verfügung stehenden Laute nicht mehr aus, um alle wichtigen Sachverhalte oder Dinge unverwechselbar zu bezeichnen. Man konnte mehrere Laute miteinander verbinden und sich auf diese Weise neue Möglichkeiten für Bezeichnungen erschließen. Die Lautverbindungen wurden zu Wörtern, erst zu einfachen, später auch zu solchen, die aus mehreren Lautverbindungen zusammengesetzt waren. Zumindest könnte es so gewesen sein. Klar ist jedoch, dass es immer Wahrnehmungen über die Umwelt, über Artgenossen oder eigene Befindlichkeit waren, zu denen man sich verständigen wollte. Diese Wahrnehmungen prägten die Wörter und damit die Sprache. Mit der Sprache drücken wir aus, was unsere Sinne registrieren beziehungsweise was uns das Gehirn auf dieser Basis an Eindrücken vermittelt.

Die Vielfalt der möglichen Sinneswahrnehmungen ist gewaltig. Man denke nur an die 10.000 Düfte, die wir zu unterscheiden vermögen. Wollte man diese Vielfalt jeweils mit eigenen Wörtern beschreiben, würde dies unsere intelektuellen Möglichkeiten wahrscheinlich überfordern. Nicht alle Wahrnehmungen sind jedoch gleichermaßen wichtig. Der Geruchssinn hat für die Menschen beispielsweise nicht die gleiche Bedeutung wie für andere Säugetiere. Deshalb war es auch nicht erforderlich, für alle Düfte Bezeichnungen zu bilden, um sich über diese auszutauschen. Außerdem konnte man Dinge oder Sachverhalte, die in wesentlichen Punkten übereinstimmten, in einem Wort zusammenfassen. Ein Teller ist ein Teller, egal ob er aus Holz gefertigt wurde oder aus Keramik, aus Metall oder Knochen, egal welche Größe er hat, welche Farbe oder Form. Meist reichte die allgemeine Bezeichnung „Teller“ aus, um den Gegenstand, der gemeint war, hinreichend zu benennen. Wurde eine genauere Bezeichnung erforderlich, dann konnten konkretisierende Wörter hinzugefügt werden. Wollte man Sachverhalte oder Ereignisse schildern, konnten ebenfalls mehrere Wörter miteinander verbunden werden. Die Kombination der Wörter musste allerdings allgemein akzeptierten Regeln folgen, damit Missverständnisse vermieden würden. Diese Regeln nennen wir heute Grammatik.

Für die Herausbildung der Sprache, des Sprechens und Verstehens, waren körperliche Anpassungen erforderlich, wie die Entwicklung des Sprechapparates und des Gehörs. Diese Anpassungen gingen in das Erbgut der Menschen ein. Die Sprache selbst wird nicht vererbt, das heißt, jedes Kind muss sie immer aufs Neue erlernen. Eine Vererbung kam nicht in Frage, weil die Sprache etwas sehr dynamisches ist, das sich den unterschiedlichen und sich zudem verändernden Lebensbedingungen anpassen muss. Die Dynamik, mit der sich die Sprache verändert, führte wiederum dazu, dass sich in den mehr oder weniger isoliert voneinander lebenden Gemeinschaften unterschiedliche Sprachen und Dialekte herausbildeten.

Im Laufe der Zeit wurden die Gemeinschaften der Menschen größer und gleichzeitig vielgestaltiger. Wirtschaftliche Beziehungen entwickelten sich, teilweise über große Entfernungen hinweg. Daraus entstand das Bedürfnis, gegenseitige Verpflichtungen nachprüfbar festzuhalten, das heißt zu dokumentieren. Außerdem war es mitunter erforderlich, anderen Personen Nachrichten zukommen zu lassen, die man nur ungern Dritten für eine mündliche Überlieferung anvertraute. Alternativ konnte man dem Partner Gegenstände oder Zeichnungen übersenden, die eine Nachricht symbolisierten. Das setzte jedoch voraus, dass der Empfänger die Symbole zu deuten wusste. Das heißt, die Partner mussten vorab verabreden, was mit den jeweiligen Gegenständen oder Zeichnungen ausgedrückt werden sollte. Das war umständlich. Deutlich mehr Möglichkeiten eröffneten sich, als man dazu überging, die Sprache selbst in allgemein akzeptierten Bildern oder Zeichen wiederzugeben. Dazu mussten den Wörtern einzelne Bilder verbindlich zugeordnet werden. Bilderschriften, wie die Hyroglyphen der alten Ägypter, entstanden.

Die Bilderschriften hatten den Nachteil, dass die einzelnen Bilder oder Symbole die Dinge und Sachverhalte nur grob differenzierten. Das Leben gewann jedoch ständig an Vielvalt, so dass, um Missverständnisse zu vermeiden, immer neue Bilder benötigt wurden. Immer mehr Bilder machten die Schrift jedoch kompliziert und damit weniger alltagstauglich. Zur Auflösung dieses Dilemmas wurde irgendwann nicht mehr alles und jedes mit einem speziellen Symbol benannt, vielmehr ging man dazu über, nur einfache Wörter und wiederkehrende Lautverbindungen, die Teile von Wörtern geworden waren, mit Symbolen zu bezeichnen. Die Symbole dieser Lautverbindungen konnten nun zu komplizierteren Wörtern zusammengesetzt werden. Eine solche Entwicklung lässt sich bei den Sumerern oder auch im alten Ägypten nachweisen. Später ging man noch einen Schritt weiter und ordnete den Lauten Schriftzeichen zu, aus denen dann Silben und Wörter zusammengesetzt werden konnten. Auf diese Weise entstand eine phonetische Schrift, die mit relativ wenigen Zeichen praktisch jeden Sachverhalt darstellen kann.

Das geschriebene Wort reichte jedoch nicht aus, um alle Arten von sinnlichen Wahrnehmungen auszudrücken. Wie soll man Töne mit Worten benennen, so dass beim Lesenden wieder eine Melodie assoziiert werden kann? Zur Dokumentation von Musik konnte man offensichtlich nicht den Umweg über die Sprache nehmen. Man brauchte eine spezielle Schrift, die die Musik direkt symbolisierte. Noten wurden erdacht. Außer der Musik gibt es auch andere Lebensbereiche, die sich einer besonderen Zeichensprache bedienen. In der Mathematik werden zum Beispiel mengen- und größenmäßige Zusammenhänge durch Zahlen und andere Zeichen dargestellt. Aber auch sonst spielen Zeichen und Symbole eine wichtige Rolle. Das können Handzeichen sein, wie zur Regelung des Straßenverkehrs, oder stilisierte Zeichnungen und Markierungen. Mir fallen da sofort die allgegenwärtigen Verkehrsschilder ein, deren Bedeutung man irgendwann erlernen muss, damit bei ihrer Wahrnehmung dieses Wissen sofort gegenwärtig ist, ohne dass jedesmal lange Erklärungen erforderlich wären. Alle Zeichen und Symbole dienen dazu, die Kommunikation zu verbessern, sie einfacher und schneller werden zu lassen.

Die Entstehung der Zeichen und Symbole beruht genauso wie die Herausbildung der Sprache auf Abstraktionsprozessen. Die Fähigkeit zur Abstraktion wurde wiederum die Grundlage dafür, dass aus der Vielfalt der Erscheinungen allgemeingültige Zusammenhänge, sei es in der Natur oder in der Gesellschaft der Menschen, herausgearbeitet werden konnten. Im Unterschied zu den Erfahrungen, die meist einen individuellen Bezug besitzen, in jedem Fall aber eine spezielle Aufgabe oder Situation betreffen, ist das auf diese Weise entstandene Wissen auf eine Vielzahl recht unterschiedlicher Gegebenheiten anwendbar. Hinzu kommt, dass dieses Wissen in Bereiche vorstoßen kann, die der direkten Wahrnehmung verborgen bleiben. Damit wurde das Wissen zu einem bedeutenden Schatz der Menschen, der wohl behütet, das heißt von Generation zu Generation weitergegeben werden konnte. Seine Pflege, Mehrung und Weitergabe übertrug man speziell dafür ausgebildeten Personen. In der Abstraktion, das heißt in der Loslösung des Wissens von konkreten Erscheinungen, besteht jedoch auch eine Gefahr, denn die auf dieser Basis entstehenden Theorien können sich leicht von der Realität entfernen.

Bild: imbstudent.donau-uni.ac.at

 zuletzt geändert: 01.02.2019

Was sind Wahrnehmungen?

„Wahrnehmungen“  –  ein schönes Wort.

Wir „nehmen“ es als „wahr“, was uns unsere Sinne – Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut – an Informationen liefern. Das ein oder andere Mal haben wir zwar erfahren, dass uns unsere Sinne auch täuschen können. Das ändert aber nichts an der positiven Grundeinstellung der meisten Menschen zu ihren Wahrnehmungen.

Was sind Wahrnehmungen eigentlich?

Unter dem Begriff Wahrnehmungen werden hier Informationen gefasst, die unser Körper über Sinneszellen aufnimmt und an das Gehirn zur Verarbeitung weiterleitet. Die größere Gruppe dieser Wahrnehmungen betrifft Informationen aus der Umwelt. Sie dienen dem Überleben der Menschen in dieser Welt.

Hinzu kommen Sinneswahrnehmungen, die das „Funktionieren“ des Körpers betreffen. Dazu zählt der Gleichgewichtssinn, mit dessen Hilfe wir Lageveränderungen im Verhältnis zum Schwerefeld der Erde erfassen, das Gleichgewicht wahren und Bewegungen kontrollieren. Zu dieser Gruppe von Sinneswahrnehmungen zählt auch die Tiefensensibilität, die der Koordination der Körperglieder zueinander und damit der Körperhaltung dient. Die Informationen, die über diese Sinne gewonnen werden, schaffen es allerdings in aller Regel nicht bis ins Bewusstsein. Sie dienen gewissermaßen der „internen“ Regulierung.

Zu den Wahrnehmungen sind auch die Schmerzen zu zählen. Schmerzrezeptoren sind fast über den gesamten Körper verteilt. Sie signalisieren Störungen im System, die einer erhöhten Aufmerksamkeit bedürfen, um Leib und Leben zu bewahren. Das Leben ist aber nicht nur Schmerz sondern auch Lust. Mit Lust werden wir belohnt, wenn wir uns um die Erhaltung der Art oder die Bewahrung des eigenen Lebens verdient gemacht haben.

Aber, wie „wahr“ sind Wahrnehmungen denn nun?

zuletzt geändert: 27.06.2012