Gefühle – was soll das?

tierische Gefühle

Eines der großen Mysterien des Lebens sind die Gefühle. Dem einen bescheren sie eine Hochstimmung, dem anderen quälende Pein. Sie stimulieren oder depremieren, sie belohnen und bestrafen. Und warum das alles?

Letzten Endes geht es darum, das eigene Leben und das Überleben der Art zu sichern. In diesem Zusammenhang erwies es sich als Vorteil, möglichst viele Informationen über die Umwelt zu sammeln und auszuwerten, um das Verhalten auf die konkrete Situation einstellen zu können. Informationen werden in Sensorzellen gewonnen. Die Sensorzelle leitet die Information in Form eines elektrischen Impulses an das Gehirn, wo ein  neuronales Netz angeregt wird. Dieses neuronale Netz löst ein bestimmtes Verhalten aus, indem es die dafür erforderlichen Zellen beziehungsweise Organe aktiviert. Eine solche direkte Verknüpfung einzelner Informationen mit genetisch vorgegebenen Reaktionen war für die ersten Tiere typisch. Sie hat sich bis in unsere Tage für einfache Arten, bis hin zu Krebsen und Insekten, bewährt. Im Laufe der Evolution entstanden jedoch auch Arten, die mit vielfältigen Fähigkeiten ausgestattet waren, so dass sie flexibel auf unterschiedliche äußere Bedingungen reagieren konnten. Dafür musste jedoch die durchgängige Verknüpfung von Informationen mit vorherbestimmten Verhaltensmustern aufgegeben werden.

Für die flexible Reaktion auf unterschiedliche und sich verändernde Bedingungen waren vielfältige Informationen erforderlich, für deren Gewinnung komplexe Sinnesorgane entstanden. Die von ihnen gelieferten Informationen konnten durchaus widersprüchliche Anforderungen an das Verhalten stellen. Da hatte zum Beispiel ein Saurier gerade einen genialen Platz mit frischem Blattwerk für ein opulentes Mahl gefunden, als ihm seine Sinne Informationen lieferten, die auf das Nahen eines räuberischen Zeitgenossen schließen ließen. Sollte er nun weiterfressen oder besser davonlaufen? Mit der Erfahrung, die ihm geholfen hatte, den Räuber zu identifizieren, war auch dessen Einstufung als Gefahr verbunden. Diese Bewertung wurde für ihn als Gefühl, wahrscheinlich als Furcht, erlebbar. Es trieb unseren Saurier in die Flucht, egal wie verlockend das Grünzeug gewesen sein mag. War die Gefahr vorüber, würden wieder andere Gefühle, zum Beispiel aus Hunger oder Durst resultierend, sein Handeln bestimmen, denn auch Nahrungs- und Wassermangel  konnten lebensbedrohlich sein.

Nicht nur Mangelzustände und Gefahren bestimmen das Leben, genauso wichtig ist es, mit der mühsam erlangten Energie hauszuhalten und dem Körper Phasen der Regeneration zu gewähren. Ist der Löwe satt, wird er schläfrig. Das heißt, der volle Magen signalisiert dem Gehirn, dass nach Jagen und Fressen nun eine Pause angezeigt ist. Das Gehirn veranlasst die Ausschüttung entsprechender Botenstoffe und der Löwe legt sich genüsslich in die Sonne. Die Ruhe hat er sich verdient. Im Rudel gibt es jedoch ein paarungsbereites Weibchen, das, statt ihm die Ruhe zu gönnen, um ihn herumschleicht und ihn zu verführen sucht. Welches Gefühl wird siegen – sein Ruhebedürfnis oder die Pflicht, für Nachwuchs zu sorgen? Wahrscheinlich weiß er, was er zu tun hat. Allerdings wird er nicht aus lauter Pflichtgefühl das Seine beisteuern, vielmehr werden die Informationen, die ihm seine Nase über die Löwin vermitteln, ihn geil machen. Dieses Gefühl setzt sich gegen das Ruhebedürfnis durch und der Löwe schreitet zur Tat. Wahrscheinlich wird er für sein Engagement zur Bewahrung der Art mit positiven Gefühlen belohnt. Die in diesem Zusammenhang ausgeschütteten Botenstoffe lassen ihn auch wieder zur Ruhe kommen. Vielleicht kann er ja doch noch ein Schläfchen halten. Zuckerbrot und Peitsche, positive und negative Gefühle treiben ihn an, steuern sein Verhalten. Es sind Gefühle, die Behagen oder Unbehagen auslösen, die angenehm oder unangenehm sind, die er vermeiden will oder von denen er nicht genug bekommen kann. Stimulierend oder bremsend, mehr Gefühl braucht es nicht.

Was sind dann aber Durst, Hunger oder Müdigkeit? Es sind Signale des Körpers, mit denen dieser auf seinen Zustand oder seine Bedürfnisse aufmerksam macht. Es sind Informationen, denen eine Bewertung beigegeben ist, welche als angenehmes oder unangenehmes Gefühl auftritt. Je stärker dieses Gefühl ist, desto heftiger drängt die ihm zugrundeliegende Information in den Vordergrund. Das Unbehagen wegen eines bisschen Hungers wird nicht unbedingt die Handlung prägen, die Pein großen Hungers schon. Sie kann im konkreten Moment jegliches andere Gefühl überlagern. Ähnliches gilt für Schmerzen. Grundlage für den Schmerz sind Informationen von Nervenzellen, die Verletzungen an inneren Organen oder an der Außenhaut signalisieren. Diese Informationen lösen, je nach Art der signalisierten Verletzung, genetisch verankerte körperliche Reaktionen aus. Wahrscheinlich wird das Immunsystem aktiviert und an der verletzten Stelle wird Energie freigesetzt, die die Körpertemperatur erhöht, um Krankheitserreger abzutöten und die Bildung neuer Zellen zu erleichtern. Außerdem löst das Gehirn einen Schmerz aus, der es ermöglicht, die Verletzung zu lokalisieren und ihre Schwere zu erfahren. Das Tier kann nun die Wunde lecken und durch die im Speichel vorhandenen antiseptischen und blutstillenden Stoffe die Heilungschancen verbessern. Außerdem könnte es im Unterholz Schutz suchen. Da Schmerz in hohem Maße unangenehm ist, erzwingt er förmlich eine entsprechende Reaktion.

Selbst dann, wenn ein dominierendes Gefühl ein bestimmtes Verhalten mehr oder weniger erzwingt, sind immer auch andere Gefühle im Spiel, die von anderen Informationen ausgelöst wurden. Ist keines der Gefühle von vornherein dominant, müssen die verschiedenen Gefühle gegeneinander abgewogen werden, um zu einer Entscheidung über die Prioritäten des Handelns zu gelangen. Mit der Entwicklung der Sinnesorgane wurden jedoch immer mehr Informationen zur Verfügung gestellt, so dass eine Überflutung mit Gefühlen drohte, die notwendige Entscheidungen eher verhindern als befördern würde. Die Informationsflut musste irgendwie eingedämmt und kanalisiert werden. Mit anderen Worten, das Großhirn brauchte eine Einlasskontrolle, die alle nicht identifizierbaren, fehlerhaften und minderwertigen Informationen aussonderte und die die Informationen, die lediglich der Steuerung der Bewegungen dienten, direkt ans Kleinhirn verwies. Letzteres gilt vor allem für visuelle Informationen, die im Kleinhirn verarbeitet werden, ohne dass weitergehende Entscheidungen notwendig sind. Nur Informationen, die für die Optimierung des Verhaltens tatsächlich gebraucht werden, sollten Einlass ins Großhirn finden.

In der Einlasskontrolle wird nicht nur der Informationsmüll ausgesondert, es werden auch die Informationen, die passieren dürfen, mit Hilfe von Erfahrungen bewertet. Diese Bewertung geht mit einem Gefühl in die Entscheidungsfindung ein. Es kann allerdings sein, dass einzelne Informationen, zum Beispiel bestimmte Geruchspartikel, Alarm und damit eine sofortige Flucht auslösen. Diese aus der direkten Verknüpfung eines Reizes mit einem bestimmten Verhalten resultierende reflexartige Reaktion betrifft meist Gefahren, die keinen zeitraubenden Entscheidungsprozess erlauben. Gibt es keine derartige spontane Reaktion, müssen in einem nächsten Schritt alle von einem Sinnesorgan gelieferten Details zusammengeführt und in ihrer Gesamtheit beurteilt werden. Wenn, zum Beispiel, eine Vielzahl von Geruchspartikeln erkannt werden, dann entsteht ein Geruchsbild, das als Ganzes zusätzliche Informationen liefern kann. Mögen einzelne Geruchspartikel ausreichen, um eine Gefahr zu erkennen, so kann deren Gesamtheit anzeigen, ob es sich bei der möglichen Beute um ein junges oder älteres, ein gesundes oder verletztes, ein in der Nähe befindliches oder ein sich entfernendes Tier handelt. Um dieses Potenzial ausschöpfen zu können, müssen Erfahrungen in den Abgleich der Informationen einbezogen werden. Diese komplexe Verarbeitung der Informationen erfolgt in der Großhirnrinde, wo sich für die einzelnen Sinne spezielle Areale herausbildeten. Führt sie zu einer von der ersten Bewertung abweichenden Berurteilung, werden Botenstoffe auf den Weg gebracht, die die bereits hervorgerufenen Gefühle dämpfen oder verstärken.

Mit der Verbesserung des Gedächtnisses war auch verbunden, dass Handlungen beziehungsweise deren Erfolg im Nachhinein bewertet werden können. Stellt sich in der Reflexion der Ereignisse heraus, dass die Situation falsch eingeschätzt wurde, dann könnte das an den hinzugezogenen Erfahrungen liegen. Vielleicht wurden die falschen Erfahrungen zu Rate gezogen oder sie spiegelten die Komplexität der Situation nicht ausreichend wider. In jedem Fall müssen sie in Frage gestellt und gegebenenfalls modifiziert werden. Das Gedächtnis ist also nichts statisches, vielmehr werden gespeicherte Erfahrungen immer wieder überprüft und verändert. Erfahrungen, die nicht benötigt werden, verblassen, solche, die sich immer wieder als wichtig bestätigen, bleiben mit hohem Stellenwert im Gedächtnis präsent.

Je öfter eine Erfahrung erfolgreich zum Einsatz kommt, umso stabiler prägt sie sich aus. Dies gilt in besonderem Maße für die Steuerung von Bewegungen. Wird eine Bewegung immer und immer wiederholt, führt das nicht nur zu ihrer Optimierung, sondern auch zum bevorzugten, quasi automatisierten Abruf der optimierten Bewegungsvariante. Der Stellenwert einer Erfahrung kann auch durch das Gefühl, mit dem sie verknüpft ist, bestimmt werden. Die Bewertung durch ein Gefühl ist für die im Großhirn gespeicherten, das Verhalten prägenden Erfahrungen charakteristisch. Je stärker das markierende Gefühl war, desto länger und intensiver bestimmt diese Erfahrung die zukünftigen Handlungen. Das kann soweit gehen, dass selbst dann, wenn die zu beurteilende Situation nur bedingt mit der Erfahrung vergleichbar ist, sie trotzdem das Handeln beeinflusst. Im Extremfall wird eine prägende Erfahrung das gesamte Verhalten des Lebewesens bestimmen und dadurch abnorm werden lassen.

Erfahrungen spielten im Verlauf der Evolution eine immer größer werdende Rolle. Offensichtlich erwiesen sie sich als Vorteil im Überlebenskampf. Die in Gemeinschaften lebenden Tiere konnten diesen Vorteil steigern, indem sie möglichst viele der in der Gruppe gesammelten Erfahrungen an andere, wie auch an Nachkommen, weitergaben. Erfahrungen zu Bewegungsabläufen kann man zum Beispiel durch das Vormachen und das spielerische oder gezielte Nachahmen vermitteln. Erfahrungen, die zur Bewertung einer Situation oder eines Verhaltens geeignet sind, kann man mit Hilfe von Lauten, Gesten und andere körperliche Ausdrucksmitteln weitergeben. Wichtig ist, dass auch die Gefühle, die sich mit den Erlebnissen verbanden, für den anderen nachvollziehbar werden. Nur durch die Verknüpfung mit Gefühlen können sich bewertende Erfahrungen im Gedächtnis verankern.

zuletzt geändert: 28.09.2019

vgl. auch: Entdeckungsreise durch das Gehirn, Gehirn & Geist spezial, Nr. 1/ 2011

1) ebenda, Seite 34

GEO kompakt Nr. 28, Intelligenz, Begabung, Kreativität

Bild: freshideen.com