Was ist „Bewusstsein“?

wolf

Als ich dieses Bild sah, habe ich mich gefragt, ob dieser Hund gerade den Sonnenuntergang genießt und dabei so etwas wie eine romantische Stimmung verspürt. Na ja, vielleicht ist das zu „menschlich“ gedacht. Wie ist das aber mit dem Bewusstsein? Haben Tiere ein Bewusstsein und was ist „Bewusstsein“ überhaupt? Tragen wir dazu noch einmal zusammen, was wir zu den Prozessen der Informationsgewinnung und -verarbeitung herausgearbeitet haben.

Wir hatten unsere Überlegungen über die Welt mit den Wahrnehmungen begonnen. Beim Nachdenken darüber, wie unsere Sinne funktionieren, war klar geworden, dass sie uns auf verschiedene Weise Informationen zu Strukturen und Bewegungen in unserer Umwelt vermitteln. Die sinnlichen Attribute dieser Wahrnehmungen, wie Helligkeit, Farben, Geräusche, Geschmack oder Geruch, sind keine Eigenschaften dieser Strukturen und Bewegungen sondern Imaginationen des Gehirns, die uns helfen sollen, eine Situation schnell zu bewerten und daraus die erforderlichen Schlüsse hinsichtlich der Prioritäten des Handelns zu ziehen. Die Sinnesorgane, die uns die Informationen über die Umwelt liefern, sind in aller Regel in oder auf der Außenhaut platziert. Sie registrieren das Auftreffen von Atomen und Molekülen, die sie durch ihre Struktur oder durch die von ihnen ausgehenden Wirkungen unterscheiden. Andere Sinneszellen können von außen kommende Energie, also Bewegungen registrieren, die als Licht, als Schall oder als Druck daherkommen. Die jeweilige Sinneszelle löst daraufhin einen elektrischen Impuls aus, der an das Gehirn weitergeleitet wird. Der elektrisch Impuls selbst ist „neutral“, soll heißen, er trägt keine Angaben über die Art der Information, die ihn auslöste, insich. Die Differenziertheit der Informationen wird dadurch bewahrt, dass die Impulse der einzelnen Sinneszellen jeweils spezielle neuronale Strukturen im Gehirn ansprechen. Jede einzelne Sinneszelle liefert dabei nur einen Impuls, der eine festgelegte Nervenzelle im Gehirn aktiviert. Da dies viele Sinneszellen gleichzeitig tun, kommt die Information in Form einer Impulsstruktur im Gehirn an, wo sie ihre Entsprechung in den von ihnen aktivierten Neuronen findet. Die Struktur aktivierter Neuronen wird mit den neuronalen Strukturen, in denen die Erfahrungen gespeichert sind, nach Übereinstimmungen abgeglichen. Auf die Erfahrung, mit der die meisten Übereinstimmungen festgestellt werden, wird sich die aktuelle Information nun beziehen. Ihre neuronalen Netze verbinden sich, wodurch die der Erfahrung anheftende Bewertung auf die neue Information übergeht. Damit erhält die neue Information einen Sinn. Gleichzeitig wird das der Erfahrung ebenfalls anheftende Verhaltensmuster aktiviert.

Mitunter löst eine Information unmittelbar eine Aktion aus. Dann spricht man von Reflexen. Diese sind bereits in einer frühen Phase der Evolution entstanden und betreffen meist grundlegende Lebensprozesse. Für Cyanobakterien war es schon vor Urzeiten wichtig, das lebensspendende Sonnenlicht zu erkennen. Nur mit seiner Hilfe konnte die Photosynthese gelingen. Trifft dieses Licht auf einen entsprechenden Sensor der äußeren Hülle, so setzt dieser einen Botenstoff frei, der ein vorherbestimmtes Verhalten, hier die Bewegung hin zum Licht, hervorruft. Eine vorherige Bewertung der Information ist nicht vorgesehen und auch nicht notwendig. Auf ähnliche Weise orientieren viele Pflanzen ihr Wachstum zum Licht. Wie das Licht das „Verhalten“ einer Pflanze beeinflusst, zeigt uns die Sonnenblume sehr eindrucksvoll. Sie schaut immer zum großen Lichtspender, obwohl dieser im Laufe des Tages seinen Platz am Firmament ändert. Die Sonnenblume muss dazu keine Entscheidung treffen, dieses Verhalten ist in ihrem Erbgut angelegt.

Eine ähnliche direkte Verknüpfung von Impuls und Verhalten findet man bei Insekten. So ist es unwahrscheinlich, dass ein Käfer das Gelb einer Blüte „sieht“ und sie deshalb in Erwartung süßen Nektars zielgerichtet ansteuert. Er registriert vielmehr Licht eines bestimmten Frequenzbereichs, das sein Verhalten auslöst. Darüber muss er nicht nachdenken, es geschieht eben. Vor diesem Hintergrund wird auch die Funktionsweise der Facettenaugen, die ein Merkmal vieler Insekten sind, verständlich. Diese Augen liefern kein ganzheitliches Bild als Grundlage für eine Entscheidung, sie sammeln vielmehr Informationen über Lichtreflexionen und deren Veränderung, die dann zur Grundlage ihrer Reaktionen respektive Bewegungen werden. Auf diese Weise orten sie auch „gelbe“ Blüten und steuern diese an. Werden plötzliche Veränderungen in der Reflexion des Lichts registriert, so kann dies ein Zeichen für Gefahr sein, weswegen diese Information umgehend ein Fluchtverhalten auslöst. Es ist verdammt schwierig, eine Fliege zu erwischen, denn sie kann selbst hinterhältigen Angriffen zuvorkommen. Zwar „sieht“ sie den Angreifer nicht, sie registriert jedoch die mit seiner Bewegung verbundene Veränderung des Lichts, und dies beinahe im Rundumblick. Diese Information löst augenblicklich ihre Flucht aus.

Mit der Herausbildung von Entscheidungsprozessen auf der Basis gespeicherter Erfahrungen wurde vieles anders. Die direkte Verknüpfung von Impulsen mit einem bestimmten Verhalten wurde zwar nicht völlig aufgegeben, aber ein größer werdender Teil der Informationen muss nun erst verarbeitet und in einen Entscheidungsprozess einbezogen werden, bevor eine Handlung ausgelöst wird. Nicht zu vergessen, dass sich auch die Sinne zu komplexen Organen weiterentwickelten, die teilweise verschiedenartige Sensorzellen vereinen und dadurch eine Vielzahl von Informationen zu unterschiedlichen Aspekten der Wirklichkeit liefern. Die vielfältig entstehenden Einzelinformationen müssen miteinander kombiniert und mit Erfahrungen abgeglichen werden, damit ihnen einen Sinn gegeben werden kann. So werden zum Beispiel die von den Augen registrierten Lichtpunkte derart kombiniert, dass sich Formen bilden, die sich mit Hilfe der Erfahrungen identifizieren lassen. Im nächsten Schritt wird das auf diese Weise entstehende Bild weiterbearbeitet, zum Beispiel indem die Konturen der Objekte schärfer von der Umwelt abgegrenzt werden. Außerdem sind die Abstände zu anderen Objekten zu erfassen, damit die Orientierung im Raum möglich wird.

Mit dem Entscheidungsprozess hatte sich noch etwas anderes verändert. War bislang nur der jeweilige Reiz die Information, so ist für die komplexe Beurteilung einer Situation auch das Nichtvorhandensein eines Reizes von Belang. Folglich müssen beide Möglichkeiten, das Vorhandensein wie auch das Fehlen eines bestimmten Reizes, als Information in die Entscheidungsfindung eingehen. Dazu werden sie durch unterschiedliche Wahrnehmungsmuster voneinander abgegrenzt. Für das Licht heißt das, dass das Vorhandensein des Impulses als „hell“ registriert wird, das Fehlen als „dunkel“. Darüber hinaus kann die unterschiedliche Intensität der Reize durch Abstufungen von hell und dunkel wiedergegeben werden. Die Informationen, die die Zapfen des Auges liefern, sind allerdings in drei Frequenzbereiche aufgeteilt, so dass eine alternative Wiedergabe nach dem Muster „entweder/oder“ nicht möglich ist. Hier verrechnet das Gehirn die Anteile der verschiedenen „Farbinformationen“ zu einem Mittelwert, dem dann ein Farbeindruck zugeordnet wird. Demnach gibt es zwei unterschiedliche Verfahren, wie den Informationen Wahrnehmungsmuster beigegeben werden. Zum einen werden sie mit Hilfe eines Gegensatzes gebildet, zum anderen können sie aus der Verrechnung unterschiedlicher Werte zu einem Mittelwert resultieren. Am Ende entsteht ein komplexes Bild, in dem die einzelnen Aspekte durch die unterschiedlichen Wahrnehmungsmuster unterscheidbar bleiben.

Wahrnehmungsmuster bildeten sich nicht nur für visuelle Reize sondern für alle Sinne aus. Sie sind Bestandteil der Informationsverarbeitung in der Großhirnrinde, die dazu nach Sinnerorganen spezialisierte Areale ausbildete. In ihnen sind auch die mit den einzelnen Sinnen verbundenen Erfahrungen gespeichert. Die Wahrnehmungsmuster selbst könnte man vielleicht als neuronale Schablonen begreifen, in die die aktuellen Informationen, respektive die sie tragenden neuronalen Strukturen, eingefügt werden. Die den einzelnen Sinnen zugeordneten Wahrnehmungsmuster sind dabei deutlich voneinander unterschieden. Sie gehören gewissermaßen unterschiedlichen Sphären an, die wir als Sehen, Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen bezeichnen. Innerhalb dieser Sphären oder Wahrnehmungsmuster sind Möglichkeiten für Differenzierungen gegeben, wodurch Aspekte und Details wie Geschmacks- oder Geruchsnuancen, unterschiedliche Töne und Geräusche oder eben Formen, Farben und Helligkeiten unterschieden werden können. Darüber hinaus ist nicht nur für das Sehen das Nichtvorhandensein eines Reizes von Belang, auch bei anderen Sinnen wird das Fehlen des Reizes mit einem Wahrnehmungsmuster belegt. Treffen keine Schallwellen auf das Ohr, entsteht die Wahrnehmung „Ruhe“, treffen Schallwellen auf, dann bedeutet das „Geräusch“. Dieses Geräusch kann mit Hilfe verschiedener Sinneszellen weiter differenziert werden. Die Frequenz der Schallwellen wird in unterschiedlichen Tonhöhen deutlich, ihre Intensität in verschiedenen Lautstärken. Die Töne wechseln sich mit kurzen Ruhepausen ab. Die konkrete Abfolge von Tönen und Pausen lässt Rhytmen entstehen. Im Abgleich mit Erfahrungen kann unter Umständen eine Melodie identifiziert werden.

Zu den Wahrnehmungen, die aus den Impulsen der Sinnesorgane entstehen, kommen Wahrnehmungen den eigenen Körper betreffend hinzu. Das können Wahrnehmungen wie Durst und Hunger sein, die einen Mangel signalisieren, oder Schmerzen, die eine Verletzung und damit eine Gefährdung der körperlichen Möglichkeiten anzeigen. Eine weitere Gruppe von Wahrnehmungen betrifft die Gefühle. Gefühle drücken Bewertungen aus, die den Erfahrungen anheften. Wird eine aktuelle Information identifiziert, indem sie sich mit einer Erfahrung verbindet, wird das mit ihr verbundene Verhaltensmuster aktiviert und eine körperliche Empfindung, ein Gefühl erzeugt. Durch die Wahrnehmung dieses Gefühls fließt die aus der Erfahrung zugeordnete Bewertung in die Entscheidung ein. Mit der wachsenden Bedeutung der Gemeinschaft für das Leben jedes einzelnen erhielten auch die Informationen, die die Beziehungen in der Gruppe betrafen, ein höherer Stellenwert. Wieder sind es nicht die Informationen selbst, sondern die ihnen auf der Basis von Erfahrungen zugeordneten Gefühle, deren Wahrnehmung in die Entscheidungsfindung einfließt.

Mit den sozialen Beziehungen gewinnt noch ein weiterer Faktor Einfluss auf die Entscheidungen, das Kalkül. Das Kalkül zielt nicht in erster Linie auf die Lösung einer für das Wohl der Gemeinschaft wichtigen Aufgabe, sondern auf die Herstellung von Bedingungen, die zum eigenen Vorteil gereichen. Dafür braucht man eine Vorstellung davon, worin der eigene Vorteil liegt und wie man ihn erlangen kann. Der erdachte Vorteil muss wiederum mit Gefühlen verknüpft sein, damit der Ränkeschmied voller Motivation ans Werk geht. Aber, woher erhält ein Plan, also etwas, das noch nicht stattgefunden hat, eine Bewertung in Form eines Gefühls? Eine solche Bewertung kann aus Erfahrungen entstehen, die der Planer in einer ähnlichen Situation bereits gesammelt hatte. Vielleicht war er schon einmal der engste Vertraute des Leithammels und will es wieder werden. Bewertungen können aber auch aus Beobachtungen resultieren. Man sieht doch, wie andere ihre Vorteile auskosten, indem sie die ersten an den Futtertrögen oder bei der Verbreitung des eigenen Samens sind.

Es sind also nicht nur viele sondern auch sehr verschiedene Wahrnehmungen respektive Gefühle, die in eine Entscheidung einfließen. Sie müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden, damit eine ganzheitliche Bewertung der Situation entstehen kann. Die dafür erforderliche Gesamtschau vollzieht sich in einem speziellen Areal der Großhirnrinde. Dort werden vermutlich nicht die Informationen mit ihrem gesamten Detailreichtum zusammengeführt, sondern es werden die Ergebnisse der ersten Verarbeitungsstufe, das heißt die Bewertungen, die den verschiedenen Informationen in Form von Gefühlen beigegeben wurden, zueinander in Beziehung gesetzt. Nur, wie kann das Gehirn die Gefühle gegeneinander abwägen und daraus eine Entscheidung ableiten? Eine Möglichkeit besteht darin, den Quellen, aus denen die Informationen stammen, einen unterschiedlichen Stellenwert zuzuordnen. Bei den Primaten ist die Gesamtschau in starkem Maße durch visuelle Quellen geprägt, bei Hunden ist daneben der Geruchssinn von besonderer Bedeutung, Katzen wiederum verlassen sich eher auf das Gehör. Maulwürfe sehen schlecht, ihre Entscheidungen werden durch den Tastsinn und den Geruchssinn geleitet. Auf diese Weise entsteht eine artenspezifische Rangfolge der Informationsquellen, die sich in der Ausprägung der entsprechenden Sinnesorgane widerspiegelt. Die Intensität eines Reizes könnte ein weiteres Bewertungskriterium sein. Ein starker Geruch zeigt die Nähe des wahrgenommenen Objekts an. Wird der Geruch nach einem Abgleich mit Erfahrungen allerdings als harmlos eingestuft, bleibt er für die anstehende Entscheidung bedeutungslos. Ist er einem gefährlichen Räuber zuzuordnen, dann ist höchste Wachsamkeit geboten, selbst wenn der Feind noch nicht gesichtet ward.

Die beiden genannten Kriterien erklären aber noch nicht, wie verschiedene Reize eines Sinnesorgans oder gleichstarke Reize verschiedener Sinne gegeneinander abgewogen werden. Um uns dieser Frage zu nähern, müssen wir uns noch einmal anschauen, wie Gefühle entstehen. Gefühle werden durch Botenstoffe hervorgerufen, die bestimmte Bereiche im Gehirn oder Nervengeflechte im Körper anregen, deren Aktivität als Gefühl wahrgenommen wird. Die Freisetzung der Botenstoffe wird durch Informationen beziehungsweisen von Reizen, die von Sinneszellen ausgehen, ausgelöst. Welche Information beziehungsweise welche Sinneszelle welchen Botenstoff freisetzt, ist im Erbgut verankert. Diese Zuordnung, die auch eine Bewertung beinhaltet, hat sich im Laufe der Evolution herausgebildet. Mit ihr entstand offensichtlich ein Ranking der Botenstoffe und Gefühle, das die Bedeutung der ihnen zugrundeliegenden Informationen für das Überleben der Art widerspiegelt. Je höher das Ranking eines Botenstoffs ist, umso stärker fließt das von ihm hervorgerufene Gefühl in die Entscheidung ein, wobei die Intensität seiner Ausschüttung verstärkend oder dämpfend wirken kann. Dieses insgesamt bewährte System hat allerdings einen Nachteil, denn auch Stoffe oder Verhaltensweisen, die dem Leben eher schaden, können großen Einfluss auf Entscheidungen nehmen, wenn sie mit der Ausschüttung von Botenstoffen verbunden sind, die starke angenehme Gefühle bescheren. Zerstörerische Süchte sind mitunter die Folge.

Bei all unseren Überlegungen zu Informationen und Entscheidungen kam der Begriff „Bewusstsein“ nicht vor. Wir brauchten ihn nicht. Die Vorgänge, die mit dem Wort „bewusst“ beschrieben werden, betreffen häufig Prozesse der Informationsverarbeitung, die dem Ziel dienen, die Prioritäten des Handelns zu bestimmen. Dazu müssen die Informationen zueinander in Beziehung gesetzt und mit Erfahrungen abgeglichen werden. Diese Fähigkeit ist, wie wir sahen, in einem langen evolutionären Prozess entstanden und weiterentwickelt worden. Die Besonderheit, die der Mensch diesem Prozess hinzufügte, ist mit der Sprache verbunden, durch die er in die Lage kam, selbst Informationen und damit Gefühle zu erzeugen. Geht die Fähigkeit zur Verarbeitung von Informationen, zum Beispiel in Folge einer schweren Verletzung des Gehirns, verloren, dann setzt ein bewusstloser oder besinnungsloser Zustand ein. Die primären Lebensfunktionen bleiben jedoch erhalten, da sie von den Teilen des Gehirns gesteuert werden, die automatisch, das heißt nach ererbten Mustern und ohne die Notwendigkeit individueller Entscheidungen, funktionieren. Für die Abgrenzung eines bewussten von einem bewusstlosen Zustand ist der Begriff „Bewusstsein“ also sinnvoll, für die Beschreibung der informationsverarbeitenden Prozesse eher weniger.

zuletzt geändert: 16.09.2019

Bild: online-mit-tieren.com