Wie ist das nun mit der Masse? Die kann man doch sicher eindeutig messen, oder? Wieder scheint es recht einfach zu sein.Es gibt einen gültigen Maßstab, das Urkilogramm. Als Messinstrument nutzt man eine Waage. Waagen gibt es in verschiedenen Ausführungen. Eine sehr einfache Variante ist die Balkenwaage. Das zu wiegende Objekt wird in der einen Schale platziert, in die andere Schale legt man Wägestücke, solange bis die Waage ausbalanciert. Die Gewichte der Wägestücke waren vorher mit Bezug auf das Urkilogramm bestimmt worden. Nun kann man die Gewichte der Wägestücke addieren und erhält das Gewicht des zu bestimmenden Objekts. Hierbei wird eindrucksvoll klar, dass das Wiegen respektive Messen im Kern ein Vergleichen ist, im konkreten Fall das Vergleichen des zu wiegenden Objekts mit dem Gewicht der Wägestücke.
Wer in Physik aufgepasst hat, wird vielleicht einwenden, dass Masse und Gewicht nicht dasselbe sind. Für die alltäglichen Messungen auf Erden kann der Unterschied zwischen Masse und Gewicht meist vernachlässigt werden, ansonsten hat diese Unterscheidung aber einen ernstzunehmenden Hintergrund. Das Gewicht wird der Masse durch die Schwerkraft verliehen. Die Schwerkraft ist jedoch nicht überall gleich. Wir bräuchten nur mal kurz auf den Mond zu fliegen, um festzustellen, dass unser Kilogramm nun kein Kilogramm mehr wiegt. Allerdings wird uns für eine solche Feststellung die Balkenwaage nicht weiterhelfen, da die Wägestücke auch an Gewicht verloren haben. Was für ein Dilemma! Im neuen Bezugssystem auf dem Mond entspricht unser Kilogramm wieder einem Kilogramm an Wägestücken! Kann das richtig sein?
Wie kann man überhaupt feststellen, ob unser Kilogramm auf dem Mond leichter ist als auf der Erde? Genau genommen gar nicht. Das neue Bezugssystem der Messung ist jetzt der Mond mit der auf ihm wirkenden Schwerkraft. Da messen vergleichen bedeutet und wir nur Objekte vergleichen können, die zum selben Bezugssystem gehören, könnten wir Unterschiede zu anderen Bezugssystemen zwar ermitteln, es wären aber nicht im eigentlich Sinne Messungen. Wir lassen trotzdem nicht locker. Wir wollen unbedingt das Kilogramm auf der Erde mit dem Kilogramm auf dem Mond vergleichen. Da man keine Waage bauen kann, deren eine Schale auf dem Mond platziert ist und die andere auf der Erde, muss ein anderer Weg gefunden werden. Man könnte eine andere Waage, eine Federwaage zum Beispiel, zur Hand nehmen. Benutzt man den gleichen Versuchsaufbau auf der Erde und auf dem Mond, dann wird die Federwaage auf dem Mond für das zu messende Objekt einen geringeren Wert anzeigen als auf der Erde. Na also, geht doch! Nur, was haben wir eigentlich verglichen? Wir haben die Schwerkraft auf der Erde mit der Schwerkraft auf dem Mond verglichen und nicht die Gewichte zweier Objekte im gleichen Bezugssystem, wie es für eine Messung verlangt wird.
Bisher haben wir die Massen anhand ihrer Gewichte unterschieden. Was machen wir aber, wenn Massen dort verglichen werden sollen, wo keine Gravitationskräfte wirken? Die Balkenwaage wird uns nicht weiterhelfen, die Wägestücke flögen einfach davon. Eine Federwaage wäre ohne Gravitationskraft, mithin ohne Gewicht der Massestücke, ebenfalls nicht von Nutzen. Eine Größe hätten wir noch, die auf Massen auch ohne Gravitationskraft Einfluss nehmen kann – Energie. Wirkt Energie auf eine Masse, dann wird sie in Bewegung gesetzt, zumindest wenn die Energiemenge ausreichend groß ist, um die Trägheit der Masse zu überwinden. Bei gleicher eingesetzter Energiemenge werden unterschiedlich große Massen unterschiedlich beschleunigt. Damit ergibt sich eine Möglichkeit, unterschiedlich große Massen zueinander ins Verhältnis zu setzen, das heißt, sie zu messen.
Experimente haben bestätigt, dass die „schwere“ Masse und die „träge“ Masse gleich groß sind. Das heißt, die auf die eine oder die andere Weise ermittelten Relationen der Massen zueinander sind identisch. Es wäre auch verwunderlich, wenn sie je nach Art der Messung unterschiedlich ausfallen würden. Die Unterschiede zwischen träger und schwerer Masse liegen in den Messbedingungen beziehungsweise im Messverfahren begründet und nicht in der Natur der Sache selbst. Die Messung einer schweren Masse verlangt ein Bezugssystem, in dem Gravitationskräfte wirken. Die Gravitationskräfte müssen auf alle zu messenden Massen in gleicher Stärke wirken, ihnen in gleicher Weise „Schwere“ verleihen, damit ein genaues Ergebnis erzielt werden kann. Die Messung einer trägen Masse setzt wiederum die Einwirkung gleicher Energiemengen auf die zu vergleichenden Massen voraus, da diese dann unterschiedlich in Bewegung gesetzt werden. Ganz egal, wie wir das Messen der Massen anstellen, ob unter Mitwirkung der Schwerkraft oder mittels Energieübertragung, es muss gesichert sein, dass das Messen, das heißt das Vergleichen in einem gleichbleibenden Bezugssystem vorgenommen wird. Die erhaltenen Ergebnisse sind selbstverständlich relative Größen, das heißt auf einen Maßstab bezogen. Diesen Maßstab könnte man ändern, das hätte jedoch keinen Einfluss auf die ermittelten Relationen zwischen den verglichenen Massen. Es würde sich nur deren Bezeichnungen ändern.
Nun wissen wir zwar, wie man Massen bestimmen kann, aber, was Masse eigentlich ist, bleibt ziemlich unklar. Tragen wir das Wenige, das wir bisher dazu wissen, zusammen. Masse ist ein „Etwas“, das unter Einwirkung von Schwerkraft „Schwere“, das heißt Gewicht erhält. Das Gewicht selbst ist jedoch keine Eigenschaft der Masse, es wird ihr durch die Schwerkraft verliehen. Außerdem ist Masse „träge“. Sie ändert ihre Bewegung nur dann, wenn ausreichend große Kräfte oder ein entsprechender Energieimpuls auf sie wirken. Außerdem hatten wir bei den Wahrnehmungen herausgearbeitet, dass man das, was außerhalb unseres Kopfes existiert, mit den Begriffen Strukturen, Bewegungen und Kräfte zusammenfassen kann. Massen sind weder Kräfte noch Bewegungen. Massen können folglich nur Strukturen sein, auf die wiederum Kräfte und Bewegungen, respektive Energie, einwirken. Man könnte also sagen, Masse besteht aus Strukturen und Strukturen haben die Eigenschaft, Masse zu sein.
Der Dialektik von Struktur und Bewegung beziehungsweise Masse und Energie widmet sich auch ein Abschnitt des zweiten Teils, auf den hier verwiesen werden soll.
Bild: kamelopedia.mormo.org
zuletzt geändert: 30.05.2019