Wir haben noch nicht alle fünf Sinne beisammen. Die Haut fehlt. Die Haut ist ein wahres Multitalent. Mit der Haut ertasten wir Formen, spüren Druck, registrieren leichteste Berührungen genauso wie Vibrationen und Dehnungen. Als kleine Zugabe zeigt sie uns auch noch die Temperatur der Dinge an, mit denen sie in Berührung kommt.
Was ist Temperatur eigentlich? Die Temperatur ist ein Maß für die Wärme und damit für den Energiegehalt eines Stoffes, der wiederum Ausdruck der Bewegungsintensität seiner Bestandteile ist. Wenn man einem Stoff alle Energie entziehen würde, dann würde auch jede Bewegung in ihm ersterben, der absolute Nullpunkt wäre erreicht. Im Experiment ist man dem absoluten Nullpunkt zwar schon sehr nahe gekommen, man wird ihn jedoch nicht erreichen, weil absolute Bewegungslosigkeit wider die Natur ist. Wird nun ein Stoff abgekühlt, dann heißt das, er muss Energie abgeben. Natürlich ist auch der umgekehrte Fall möglich, dass er Energie aufnimmt und dadurch wärmer wird. Dieser Austausch kann durch den direkten Kontakt der Stoffe erfolgen, aber auch mittels Strahlungsprozessen. So kann Wärme als warme Luft aus dem Mittelmeerraum zu uns gelangen oder durch direkte Sonnenstrahlung. Das heißt, die Luft kann warm sein, obwohl sich die Sonne den ganzen Tag hinter Wolken versteckt. Es ist aber auch möglich, dass die Luft kalt ist und uns frieren lässt, sobald sich jedoch die Sonne hervorwagt, wärmt sie derart, dass man trotz frostiger Luft die Jacke ausziehen möchte.
Der Mensch braucht für sein Wohlbefinden eine einigermaßen gleichbleibende Körpertemperatur. Eine der Aufgaben der Haut ist es festzustellen, ob und inwieweit die Umgebungstemperatur von der Körpertemperatur abweicht. Wenn die Umgebung kälter ist, als dem Körper gut tut, muss dieser vor Energieverlust geschützt werden. Dazu zieht sich die Haut zusammen, Gänsehaut entsteht. In einer derart bedenklichen Situation ist es auch wichtig, den Stoffwechsel auf Touren zu bringen, um dem Körper mehr Energie bereitzustellen. Das wird zum Beispiel durch Zittern erreicht. Es soll dem Menschen außerdem klar machen, dass mehr Bewegung jetzt vorteilhaft wäre. Ist es dagegen wärmer als für den Menschen zuträglich, wird das körpereigene Kühlsystem in Gang gesetzt. Der Körper produziert Schweiß, der durch die Wärme verdunstet und ihm auf diese Weise Energie entzieht. Eine wohltuende Kühlung ist die Folge. Außerdem macht Hitze träge. Eine Siesta im Schatten wird die körpereigene Energieproduktion auf Sparmodus schalten.
Wie stellt die Haut jedoch fest, ob es in der Umgebung zu warm oder zu kalt ist? Für diesen Zweck beherbergt sie zwei Arten von Sensoren – die Kaltpunkte, die auf Temperaturen zwischen 5 und 36 Grad Celsius reagieren und die Warmpunkte, die bei Temperaturen von 25 bis 45 Grad Celsius ansprechen. Werden diese Sensoren aktiviert, dann generieren sie einen elektrischen Impuls, der an das Gehirn weitergeleitet wird. Auffallend ist, dass sich die Reaktionsbereiche der Kaltpunkte und der Warmpunkte knapp unterhalb unserer Körpertemperatur überlappen. Im Überlappungsbereich heben sich die Impulse der Kalt- und Warmpunkte weitgehend auf. Dieser Temperaturbereich ist für den Körper zuträglich, so dass Maßnahmen meist nicht erforderlich sind. Außerhalb des Überlappungsbereichs kann es jedoch kritisch werden, so dass das Gehirn Gegenmaßnahmen, wie Gänsehaut, Zittern oder Schweißausbrüche, einleiten wird. Mitunter reichen diese spontanen Reaktionen nicht aus, dann muss der Mensch eine Entscheidung treffen und gezielt in Aktion treten. Er könnte zum Beispiel in eine schützende Unterkunft flüchten oder sich ein dickes Fell überwerfen. Liegen die Temperaturen sogar außerhalb des Bereichs der Kälte- bzw. Wärmesensoren, dann schalten sich die Schmerzrezeptoren ein, damit Mensch endlich seine Haut rettet.
Worauf die Kalt- und Warmpunkte eigentlich reagieren, ist aber noch nicht recht klar. Die Temperatur widerspiegelt einen bestimmten Energiegehalt der Luft. Die Kalt- und Warmpunkte sollen diesen Energiegehalt messen. Das machen sie, indem sie ihn mit ihrem eigenen Energiegehalt vergleichen. Wird die Differenz zu groß, dann generiert die Sinneszelle einen Impuls. Die Kaltpunkte sind dabei in den oberen Hautschichten eingelagert, weil die kalte Luft zuerst die Hautoberfläche erreicht und ihr Energie entzieht. Die Warmpunkte liegen tiefer im Gewebe, wohl weil Wärme nicht nur von der Luft transportiert wird, sondern auch durch die Strahlung der Sonne entsteht, die die oberen Hautschichten durchdringen kann und auf diese Weise ihr gefährdendes Potential auch in tieferem Gewebe entfaltet. Die von den Sinneszellen generierten Impulse werden an das Gehirn geleitet und dort bewertet. Maßstab dieser Bewertung ist die Aufrechterhaltung einer optimalen Körpertemperatur. Deshalb kann ein gleicher Sachverhalt in unterschiedlichen Situationen durchaus eine unterschiedliche Bewertung erfahren. Zum Beispiel kann ein Bad im kalten See trotz der Abweichung von der Körpertemperatur als „sehr angenehm“ empfunden werden, falls der Körper vorher gehörig aufgeheizt war. Ist dem Menschlein hingegen kalt und er springt trotzdem in den See, dann wird er mit Bibbern und Zähneklappern bestraft.
Ausgangspunkt der Bewertung sind die Impulse, die die Kaltpunkte und die Warmpunkte generieren und als elektrische Ladungen an das Gehirn senden. Diese Ladungen sind weder warm noch kalt. Die Wahrnehmung „warm“ wird den Impulsen der Warmpunkte vom Gehirn zugeordnet, „kalt“ den Impulsen der Kaltpunkte. Diese Sinneseindrücke wie auch ihre Bewertungen sollen den Menschen motivieren, sich um sein körperliches Wohlbefinden zu kümmern. Im Umkehrschluss heißt das, auch warm und kalt sind keine Eigenschaften der Umwelt, sondern Erfindungen des Gehirns, auch wenn diese auf der energetischen Situation der Umwelt basieren. Da warm und kalt subjektive Empfindungen sind und keine objektiven Eigenschaften der Dinge, wäre die Formulierung „mir ist warm“ jedenfalls die bessere Wahl.
Bild: kleinepause.net
zuletzt geändert: 26.05.2019